Lettland
will Faschisten offiziell zu Freiheitskämpfern erklären.
Neonaziaufmärsche in mehreren baltischen Ländern. Antifaschisten
hoffen auf Unterstützung aus dem Ausland
Über die nazifreundliche Haltung Lettlands macht sich jetzt auch die Europäische
Kommission Sorgen. In einem Ende Februar veröffentlichten
Bericht fordert sie die lettische Regierung auf, »alle
Versuche, Personen zu gedenken, die in der Waffen-SS
kämpften und mit den Nazis kollaborierten«, zu verurteilen
und Neonaziversammlungen zu verbieten.
Der Mahnruf dürfte verhallen. In Riga findet seit 1998 jedes Jahr ein Marsch
zu Ehren der lettischen SS-Legion statt, der nach dem
von Hitler eingeführten »Gedenktag der Legionäre« am
16. März 1944 begangen wird. Laut Kommissionsbericht
hat sich der Sprecher des lettischen Parlamentes zugunsten
des Naziumzuges, der von Jahr zu Jahr größer wird, ausgesprochen,
ebenso wie mehrere Parlamentsabgeordnete.
Monica Lowenberg beschreibt
in einem aktuellen Artikel für die Organisation »Lettland
ohne Nazismus«, wie der Aufmarsch von einem Gefallenengedenken
umgewidmet wurde zur Heroisierung der Waffen-SS. Die
soll angeblich Lettlands Freiheit gegen die Sowjetunion
verteidigt haben. Im vergangenen Jahr nahmen 2500 Personen
teil, drei Viertel von ihnen waren unter 30 Jahre alt.
Neonazis aus Deutschland, Norwegen, Dänemark und den
baltischen Nachbarstaaten sind gern gesehene Gäste, der
Termin ist aber auch ein Stelldichein bürgerlicher Kräfte
bis hin zu Regierungsangehörigen. Lowenberg zitiert eine
Umfrage aus dem Jahr 2005 an Schulen: 75 Prozent der
Heranwachsenden sehen in den SS-Männern nationale Helden.
Explizite Nazigegner sind
in den baltischen Ländern isoliert und setzen auf Hilfe
aus dem Ausland: Eine Petition fordert EU und NATO auf,
den Aufmarsch zu verurteilen. »Lettland ohne Nazismus«
lädt für den 16. März zu einem Runden Tisch mit Politikern
und Nichtregierungsorganisationen aus den EU-Ländern
nach Riga. Dort soll über den Zusammenhang von Rechtsextremismus
und lettischer Regierungspolitik diskutiert werden, bevor
die Teilnehmer die Nazidemo beobachten können.
Bereits am 11. März werden
in Litauen Nazis aufmarschieren, wo sie seit 2008 die
Feiern zum Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung von
1990 für sich nutzen. In der Hauptstadt Vilnius sind
es zwar »nur« einige hundert Neofaschisten, aber auch
sie erhalten Unterstützung aus der »Mitte« der Gesellschaft.
Allerdings haben Menschenrechtsorganisationen diesmal
ebenfalls eine Demonstration im Zentrum von Vilnius angemeldet,
um den Nazis den Marsch zu nehmen, wie es in der Presse
hieß. Die »Nationalistische Jugend« beschwerte sich,
bei der Gegendemo handle es sich um eine »Schwulenparade«.
In Litauens zweitgrößter Stadt
Kaunas hatte die Neonazijugend erst vor zwei Wochen mit
etwa 300 Teilnehmern demonstriert. Laut dem Leiter des
Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff,
waren darunter fünf Parlamentsabgeordnete. Eine Gegenveranstaltung
hatten die Behörden verboten – angeblich aus Sicherheitsgründen,
und obwohl nur ein paar Dutzend Antifaschisten erwartet
wurden.
In Estland wartet man derweil
gespannt auf einen Gesetzentwurf aus dem Verteidigungsministerium.
Anfang des Jahres wurde berichtet, es wolle den Angehörigen
der 20. SS-Waffengrenadierdivision den Status als »Freiheitskämpfer«
verleihen. Schon dreimal hat die nationalistische »Pro
Patria«-Partei einen solchen Anlauf unternommen. Nach
heftiger Kritik seitens der russischen Regierung ließ
Verteidigungsminister Mart Laar dementieren, »etwas so
Absurdes« wie die Ehrung von Nazikollaborateuren zu beabsichtigen.
Er bestätigte aber, bis zum Frühjahr einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der die Kämpfer »für die Wiederherstellung
der Unabhängigkeit« des Landes ehren soll. Der SS steht
Laar eindeutig positiv gegenüber: Er ist Autor eines
2008 erschienenen verherrlichenden Bandes über die »Estnische
Legion in Wort und Bild«, und er sandte, ebenso wie Premierminister
Andurs Ansip, offizielle Grußworte an SS-Veteranentreffen,
bei denen den Nazimördern für ihren »Dienst am estnischen«
Volk gedankt wird.
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