Der
70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion
dient in Litauen als Hintergrundkulisse für nationalistische
Anstrengungen. Dabei werden rechtsextreme Milizen, die bei
Kriegsbeginn einen Aufstand gegen die Rote Armee begannen,
als »Freiheitskämpfer« bezeichnet, der Holocaust relativiert
und die Kollaboration mit den Nazis schöngeredet.
Hauptanliegen der offiziösen Geschichtspolitik ist die Darstellung der »Litauischen
Aktivistenfront« (LAF), die im Juni 1941 den Aufstand organisierte,
als honorige patriotische Vereinigung. Einen wichtigen Beitrag
hierzu leistet der pünktlich zum Jahrestag am 22. Juni vorgestellte
Dokumentarfilm »Aufstand der Versklavten «, zu dessen Premiere
zahlreiche Politprominenz erschien. Das Parlament würdigte
den staatlich gesponserten Film als »wichtigen Beitrag zu
litauischer Kultur, Geschichte und Patriotismus«. Der Streifen
zeigt nur die Opfer sowjetischer Verbrechen von 1940/41,
schweigt sich aber komplett darüber aus, daß der »Freiheitskampf
« der LAF, deren Führung damals in Berlin residierte, vom
ersten Tag an mit antisemitischen Pogromen und Mordaktionen
einherging. Später stellten aus der LAF hervorgegangene Sicherungseinheiten
die Erschießungskommandos für die Deutschen. Eine Ausstellung,
die derzeit an der Technischen Universität Kaunas gezeigt
wird, dient ebenfalls der Schönschreibung dieser Truppe.
Auf einer Konferenz, die Ende Juni
im litauischen Parlament stattfand, würdigte der frühere
Staatschef Vytautas Landsbergis den Aufstand von 1941 als
eine Art nationales Erwachen, das den Weg zur Unabhängigkeit
50 Jahre später bereitet habe. Das berichtet der Jiddisch-Professor
und Konferenzbeobachter Dovid Katz auf seiner Homepage DefendingHistory.com.
Ein Mitarbeiter des staatlichen Zentrums zur Erforschung
des Genozids (Genocide Research Center) – dieses hatte auch
den erwähnten Film unterstützt – leugnete gar die Beteiligung
der LAF an Pogromen: Dies behaupteten lediglich »jüdische
Historiker«, ohne hierfür Belege zu haben. Tatsächlich haben
Wissenschaftler in den letzten Jahren zahlreiche Beweise
dafür dokumentiert. Das Genozid-Zentrum sollte eigentlich
sowjetische und nationalsozialistische Verbrechen untersuchen.
Tatsächlich betreibt es pure Gleichsetzung.
Es spricht in Orwellscher Sprachverdrehung von einem »sowjetischen
Genozid am litauischen Volk«, den es zu erforschen gelte.
Einer seiner Mitarbeiter, Ricardas Cekutis, kam im Frühjahr
in die Schlagzeilen, weil er an einem Neonaziaufmarsch zum
Unabhängigkeitstag in Vilnius teilgenommen hatte, genauso
wie ein Abgeordneter der regierenden Heimatunion. Beide marschierten
inmitten von Hakenkreuzfahnen, die in Litauen geduldet werden.
Cekutis arbeitet in der »Abteilung für Sonderermittlungen«.
Man fragt sich, was er da wohl ermittelt, denn den Holocaust
hält er für einen »Mythos «, der zum Kassieren von Entschädigungen
erfunden worden sei. Das erklärte er Anfang August der Tageszeitung
Lietuvos rytas. Cekutis, der Mitglied der Partei »Junges
Litauen « ist, erklärte weiter: Wenn der Zweite Weltkrieg
sich jetzt wiederholte »wären wir ohne Zweifel auf der deutschen
Seite«.
Ebenfalls vor wenigen Wochen wurde
bekannt, daß der »Litauische Nationalistische Jugendverband«
staatliche Gelder erhält. Gefördert wurde unter anderem ein
Jugendcamp, das unter dem Motto stand »Gott (bzw. den Göttern)
sei Dank, daß ich ein Weißer bin«. »Litauen den Litauern«
ist eine andere gängige Parole der Organisation. Ein Sprecher
des Instituts für Menschenrechte nahm den Vorfall zum Anlaß,
auf einen alarmierenden Stimmungsumschwung in der Politik
hinzuweisen: Radikale nationalistische Hetze werde zunehmend
als »normaler Ausdruck des demokratischen Lebens« wahrgenommen.
Die Wirkung bleibt nicht aus: Anfang
Juli wurde die Holocaust-Gedenkstätte in Paneriai von Nazis
beschmiert. In dem Vorort von Vilnius wurden rund 70 000
Juden ermordet. Die Neonazis sprühten Hakenkreuze auf die
Gedenksteine, dazu obszöne Sprüche und die Parole »Hitler
hatte Recht«. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum stellte den Zusammenhang
her: Solche Schmierereien seien »beinahe verständlich«, wenn
auf einer staatlichen Konferenz antisemitische Morde von
litauischen Kollaborateuren als Erfindungen »jüdischer Historiker«
abgetan würden. Einiges Aufsehen erregte kürzlich die litauische
Antifa, die auf ihrer Homepage Fotos von Armeeangehörigen
publizierte, die sich auf Facebook mit tätowierten Hakenkreuzen
und Nazisymbolen gezeigt hatten. Der Verteidigungsminister
wiegelte ab: Tattoos seien »eine private Angelegenheit «.
jungewelt.de
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