VILNIUS, 07. Oktober (Wladimir Beskudnikow für RIA Novosti). Sobald die Frage
der Kollaboration während des Zweiten Weltkriegs auftaucht, versucht die
Mehrheit der Litauer sich von den Letten und Esten zu distanzieren.
„Es gab keine SS-Division aus Litauen“, behaupten die meisten Litauer gebetsmühlenartig.
Es stimmt ja in der Tat: Es gab keine
litauische SS-Division, doch es stimmt ebenfalls, dass es
spezielle Hilfseinheiten gab, Polizeieinheiten sowie Bataillone,
die sogar außerhalb von Litauen in sehr schlechtem Ruf standen.
Nicht nur jüdische Bevölkerung Litauens,
die in den Ghettos lebte und vernichtet wurde, und nicht
nur die in die Gefangenschaft geratenen Rotarmisten, mussten
unter der Willkür der litauischen Polizisten leiden. Zwölf
Bataillone der litauischen Polizei unter dem Kommando von
Major Antanas Impulevicius (Gesamtzahl: 485 Polizisten) haben
ihre blutigen Spuren auch in Weißrussland hinterlassen, wo
einige Dutzend Dörfer niedergebrannt worden waren.
Über 200 Einwohner des inzwischen
weltbekannten Dorfes Chatyn, das zu einem Symbol des Leidens
des weißrussischen Volkes wurde, waren außerdem auf Befehl
des berüchtigten Majors Impulevicius lebendig verbrannt worden.
Das litauische Zentrum für Völkermord erkannte offiziell
an, das auf dem Gewissen der Impulevicius-Einheit die Ermordung
von mehr als 20 000 unbeteiligten weißrussischen Zivilisten
lastet.
Nach der Erlangung der Unabhängigkeit
im Jahr 1991 hat Litauen mindestens teilweise versucht, die
Verantwortung für die Gräueltaten zu übernehmen. Der ehemalige
erste Sekretär des Zentralkomitees der litauischen Kommunistischen
Partei, Algirdas Brazauskas, hatte sich 1995 nach seiner
Wahl zum Präsidenten der unabhängigen Litauischen Republik
im Namen des litauischen Volkes während seines Israel-Besuchs
entschuldigt. An den Veranstaltungen zum Gedenken an die
verbrannten weißrussischen Dörfer nahm regelmäßig der Botschafter
der Litauischen Republik in Weißrussland teil.
Doch in den vergangenen Jahren hat
sich die Situation hierzulande signifikant geändert. Die
Juden bekommen immer häufiger Beleidigungen statt Entschuldigungen
zu hören. Und dies obwohl am Tag des Genozids am jüdischen
Volk, der im Litauen am 23. September begangen wird, der
Vorsitzende des litauischen Parlaments, Ceslovas Jursenas,
an der nicht weit von der Hauptstadt Vilnius gelegenen Gedenkstätte
Panerai eine Rede gehalten hatte.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass
der heutige Präsident Litauens Valdas Adamkus in der Zeit
des Zweiten Weltkrieges sehr eng mit der deutschen Administration
zusammenarbeitete und zu einer litauischen Hilfseinheit gehörte.
Nicht zufällig hatte er 1944 das Land Hals über Kopf verlassen
müssen. Er wanderte zuerst nach Deutschland aus und emigrierte
kurze Zeit später in die USA.
Im Juni 1941, nachdem die deutsche
Wehrmacht die UdSSR überfiel und die Rote Armee Litauen verlassen
musste, wurden die litauischen Einheiten von Freiwilligen
zusammengestellt, die unverzüglich damit begannen, die jüdische
Bevölkerung auszurotten. Allein in der Stadt Kaunas wurden
an einem Tag mehr als 9000 Juden ermordet.
Diese Freiwilligen-Einheiten waren
sehr gut organisiert, so dass 80 Prozent der gesamten jüdischen
Bevölkerung Litauens (das sind mehr als 200 000 Menschen
gewesen) bis Ende 1941 getötet wurden. All das geschah unter
dem Vorwand des Kampfes gegen die „bolschewistischen Handlanger“.
Heute leben in Litauen insgesamt 2800
Juden. Doch die Machtoberen versagen kläglich jedesmal, wenn
es darum geht, die Sicherheit dieser Leute zu garantieren.
Freundschaften zerbrechen, aus ehemaligen Freunden werden
Feinde.
Die Staatsanwaltschaft Litauens verlangt
seit September 2007 von Israel die Auslieferung des ehemaligen
NKWD-Mitarbeiters (NKWD - Volkskommissariat für innere Angelegenheiten,
sowjetische geheime Staatspolizei - Anm. der Redaktion),
Yitzhak Arad, damit er sich vor Gericht für die Ermordung
einiger deutscher Helfershelfer verantworten müsste, die
jetzt stolz als Partisanen bezeichnet werden.
Die Behörden versuchen hartnäckig
die deutschen und sowjetischen Verbrechen in einen Topf zu
werfen. Es ist bereits alles erdenkliche getan worden, damit
die Adjektive „sowjetisch“ und „faschistisch“ zu Synonymen
werden.
Im Jahre 2000 hatte der litauische
Präsident Valdas Adamkus einen Erlass über die Gründung einer
Kommission für die Untersuchung nazideutscher und... sowjetischer
Verbrechen unterzeichnet. Gleichzeitig weigerte er sich nach
Moskau zu reisen, um den 60. Jahrestag des Siegs im Zweiten
Weltkrieg zu begehen. Was sagt man dazu? Vor einigen Monaten
wurde in Litauen ein Gesetz verabschiedet worden, das die
Nutzung von der Nazi-Symbolen sowie Sowjet-Symbolen verbietet.
Sehr merkwürdig werden auch die Kriegsveteranen
behandelt. Sie wurden kurzerhand vereint, ohne berücksichtigt
zu haben, wer wo gekämpft hat, so dass die ehemaligen Nazis
ohne weiteres durch die Straßen von Litauen marschieren können.
Man muss aber einräumen, dass solche Märsche in Litauen noch
nicht, wie in den benachbarten Estland und Lettland, zu einer
festen Tradition geworden sind.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum, das
derzeit in Litauen recherchiert, um noch lebende und untergetauchte
„willige Vollstrecker Hitlers“ ausfindig zu machen, erlebt
immer häufiger den Widerstand der litauischen Behörden. Der
Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Ephraim Zuroff, hat
bereits Informationen über mehr als 360 Verdächtige gesammelt.
Er behauptet, dass die litauischen Behörden überhaupt nichts
mit der Verfolgung von Nazi-Verbrechern zu tun haben wollen,
und darauf verweisen, dass manche Litauer selbst Opfer der
Kriegsverbrechen wurden und somit keine Schuldigen seien.
„Die baltischen Staaten reden viel
über das Leiden ihrer Länder während der Sowjetzeit, doch
sie tun nichts, um die Mörder zu bestrafen, die mit den Nazis
kooperiert haben. Es ist bist heute politisch unkorrekt und
nicht populär offen zu gestehen, wie viele litauische Bürger
an den Massentötungen beteiligt gewesen waren“, sagt Zuroff.
Im Moment steht Litauen auf der vom
Simon-Wiesenthal-Zentrum zusammengestellten „Schwarzen Liste“
als ein Land, das zwar über eine entsprechende Rechtsbasis
verfügt und doch nichts tut, um die Nazikollaborateure zu
entlarven. Litauens Nachbarn auf dieser Liste sind Kroatien,
Lettland, Estland und die Ukraine.
de.rian.ru
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