09.10.2014 faz.net
SS-Scherge wird Musical-Star
von Lorenz Hemicker

Der Lette Herberts Cukurs war an der Ermordung Zehntausender Juden beteiligt. Nun geht er auf Tournee - als Figur in einem Musical. Eine moralische Instanz des Landes schlägt Alarm.

Wenn sich in der lettischen Hafenstadt Liepaja am kommenden Samstag der Vorhang öffnet, wird Herbert Cukurs (sprich: Zukurs) wieder ein Star sein: Ein schneidiger Kerl in schicker Fliegeruniform, der sich in den 30er Jahren aus den Resten abgestürzter Flugzeuge einen eigenen Doppeldecker zimmerte – und damit bis nach Tokio, Palästina und Tobago flog. Der Inselstaat vor der Küste Südamerikas zählte einst für wenige Jahre zum Herzogtum Kurland, das auch das spätere lettische Staatsgebiet umfasste. Cukurs wurde mit den Langstreckenflügen zum Liebling des lettischen Diktators Karlis Ulmanis. Und zum Volkshelden, der die Covers lettischer Magazine prägte.

Nun kehrt der Flieger als Musical-Star unter dem an James Bond erinnernden Titel „Cukurs, Herbert Cukurs“, auf die Bühne zurück. Und es wäre wahrlich die Geschichte eines Helden, der mit seiner Improvisationskunst und seinem Wagemut die besten Seiten Lettlands repräsentieren könnte, wäre Cukurs beim Einmarsch der Deutschen im Jahr 1941 ums Leben gekommen. Ist er aber nicht.

Massenmord, Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Folter

Als die Nazis das Land besetzten, heuerte er bei der „Sicherungsgruppe Arjas“ an, einem Sonderkommando lettischer Kollaborateure, das im Auftrag der deutschen Besatzer schätzungsweise 45.000 Menschen ermordete, darunter vor allem Juden. Cukurs, der zum Fahrer und Adjutanten des lettischen Kommandeurs und SS-Offiziers Victors Arajs aufstieg, galt nach dem Krieg als „Henker von Riga“ .

Das Simon Wiesenthal Center macht ihn verantwortlich für Massenmord, Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Folter Hunderter Juden. Manche dieser Vorwürfe sind bis heute unbewiesen. Verbrieft aber ist, dass Cukurs am 30. November und 8. Dezember 1941 im Rigaer Ghetto für den Einsatz lettischer Polizisten verantwortlich war, bei dem er selbst wahllos auf Frauen, Greise und Kinder schoss. An diesen Tagen wurden rund 25.000 Juden von SS-Truppen und lettischen Hilfskräften in das nahe Riga gelegene Wäldchen Rumbula getrieben und dort ermordet.

Die Hinterlassenschaften der Toten  hat Cukurs im Anschluss von überlebenden Ghetto-Insassen nach Wertgegenständen durchsuchen lassen. Als wahrscheinlich gilt zudem Cukurs Teilnahme an weiteren Massenexekutionen und sein äußerst brutales Vorgehen im späteren Kriegsverlauf gegen Partisanen in Weißrussland.

Kampfparole, um einen Judenmörder zu legitimieren

Das Musical, das nach der Premiere in Cukurs Geburtsstadt auf Tournee gehen soll, zieht vor diesem Hintergrund bereits vor der ersten Aufführung scharfe Kritik auf sich. „Das Theaterstück ist eine Provokation“, sagt der 89 Jahre alte Ghetto-Überlebende Margers Vestermanis, heute Mitglied der Historikerkommission beim lettischen Staatspräsidenten dieser Zeitung. Das Stück sei „eine Kampfparole, um einen Judenmörder zu legitimieren und ihn wieder zum Nationalhelden zu machen“, so Vestermanis weiter.

Die Familie von Herberts Cukurs werbe bis heute dafür, seine Asche auf dem Heldenfriedhof in Riga beizusetzen. Diesem Ansinnen habe 2013 der damalige lettische Präsident Valdis Dombrovskis allerdings eine Absage mit dem Hinweis erteilt, dass es für Mitglieder von Erschiessungskommandos keinen Platz auf dem Heldenfriedhof gebe.

Der Produzent des Stücks, Juris Millers, warb am Dienstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter dafür, sich das Stück zunächst anzuschauen. Doch die Debatte um den Umgang mit Lettlands gefallenen Nationalhelden, der 1965 vom israelischen Geheimdienst Mossad in Montevideo umgebracht wurde, dürfte sich nicht mehr einfangen lassen.

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