Mittwoch, 26. Januar 2005  
  «Operation letzte Chance»
 
 

Das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) will 60 Jahre nach Ende des NS-Regimes die letzten noch lebenden Naziverbrecher in Deutschland aufspüren und vor Gericht bringen. Dabei soll auch die Bevölkerung helfen.

HB BERLIN. Der Chef-Nazijäger des Centers, Efraim Zuroff, startete am Mittwoch in Berlin die „Operation letzte Chance“, die seit Juli 2002 bereits in mehreren europäischen Staaten läuft. Dort gab es 324 Hinweise, von denen 79 an Staatsanwaltschaften übergeben wurden. Für Hinweise, die zur Verurteilung eines Täters führen, wird eine Belohnung von 10 000 € ausgesetzt.

In Deutschland wurden bereits vor dem offiziellen Start der Aktion (www.operationlastchance.com) fünf Meldungen eingereicht. Namen wollte Zuroff noch nicht nennen, weil die Fakten erst sorgfältig überprüft werden müssten. Der Leiter des Jerusalemer SWC-Büros geht von mehreren tausend Verdächtigen in Deutschland aus. Viele der Täter hätten sich nach dem Zusammenbruch des dritten Reichs mit dem Hinweis reinzuwaschen versucht, sie hätten lediglich Befehle ausgeführt.

Ganz oben auf der Liste der gesuchten Personen steht der seit 1962 untergetauchte KZ-Arzt Aribert Heim (90). Der gebürtige Österreicher war Lagerarzt in Sachsenhausen, Buchenwald und Mauthausen, später Frauenarzt in Baden-Baden. Dass er noch lebt, schließt das SWC daraus, dass sein Vermögen von einer Million Euro nach wie vor bei einer Berliner Bank liege. Auf Heims Ergreifung wurden von deutschen Stellen schon 130 000 € Belohnung ausgesetzt. Auf diesen und andere Fälle soll in Anzeigen aufmerksam gemacht werden.

Der Mitbegründer des Programms und Sohn von vor den Nazis geflohener Juden, Aryeh Rubin aus Miami, stellte die Aktion in einen Zusammenhang mit der Bekämpfung neu entstehenden Antisemitismus. „Die Dämonen könnten zurückkommen und uns alle verschlingen“, sagte er. Der SPD-Außenpolitiker Gerd Weisskirchen, sagte: „Ich hoffe, dass diese letzte Chance von der Bevölkerung verstanden wird.“ Die noch lebenden Opfer müssten wissen, dass in Deutschland „Gerechtigkeit nicht nur auf dem Papier steht“.

Zuroff hob hervor, dass offizielle Stellen in Deutschland kooperativer bei der juristischen Verfolgung von Nazi-Tätern als einige ehemals kommunistische Staaten und Österreich.

HANDELSBLATT, Mittwoch, 26. Januar 2005