17. juni 2004 Jüdische Allgemeine Nr. 24/04
  Kopfgeld für Nazitäter
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum will mit einer Kampagne NS-Verbrecher aufspüren
von Christian Böhme
 
 

„Operation letzte Chance“ – das klingt nach Jagd, nach einem vielleicht entscheidenden Militärschlag, nach einem Ziel. Aber auch nach Hoffnung, die allmählich schwindet, und nach Zeit, die fehlt. Insofern ist der Name der Aktion auch Programm. Denn es geht dem Simon-Wiesenthal-Zentrum um nichts Geringeres, als einen der wohl letzten großangelegten Versuche, Nazi-Kriegsverbrecher ausfindig zu machen und sie möglichst zur Rechenchaft zu ziehen. Von der Ukraine bis Ungarn. Die Jäger gehen also überall dorthin, wo Juden ermordet wurden. Dort suchen sie Namen und Informationen. Um an die heranzukommen, werden Pressekonferenzen abgehalten, Zeitungsanzeigen geschaltet und Telefon-Hotlines eingerichtet. Und eine Belohnung in Aussicht gestellt. Zehntausend Euro gibt es für denjenigen, dessen Hinweise zur Verurteilung eines NS-Verbrechers führen. „Operation letzte Chance“ läuft seit bald zwei Jahren in Lettland, Litauen, Estland, Rumänien, Polen und Österreich.

In Deutschland soll die Kampagne nach Angaben des Simon-Wiesenthal-Zentrums am 20. September beginnen. Aber hat eine solche Aktion sechzig Jahre nach Kriegsende überhaupt noch Sinn? Eine dumme Frage, findet Efraim Zuroff, der als Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem die Operation letzte Chance“ koordiniert. „Stellen Sie sich mal vor, jemand hätte Ihren Großvater getötet, nur weil er ein Jude war. Und derjenige lebt jetzt als Vierundachtzigjähriger unbehelligt und sorgenfrei in München oder Hamburg. Da würde doch jeder normale Mensch und erst recht die Angehörigen der Opfer sagen: Dieser Mörder hat kein Recht auf einen solch friedlichen Lebensabend.“

Aber es geht Zuroff nicht allein darum, bisher unbestrafte Täter vor Gericht zu bringen. Der Nazijäger will auch öffentliches Bewußtsein schaffen. Dafür, daß es allein in Europa womöglich noch Tausende Kriegsverbrecher gibt. Dafür, daß nach 1945 vieles bei der Strafverfolgung von NS-Mördern schiefgegangen ist. Das gilt für Österreich oder Deutschland wohl ebenso wie für die baltischen Staaten.
Dort startete die „Operation letzte Chance“ vor zwei Jahren. Seitdem hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum die Namen von etwa zweihundertsechzig Verdächtigen erhalten. Gut siebzig Namen wurden an die zuständigen Staatsanwälte weitergeleitet. Neun Verfahren wegen Mordes laufen. Dennoch ist „Operation letzte Chance“ umstritten. Kritiker loben zwar das Ziel der Kampagne prinzipiell, monieren aber die Methode. Vor allem stört sie die in Aussicht gestellte Belohnung. Diese habe einen „denunziatorischen Effekt, der moralisch fragwürdig sei“, sagte Micha Brumlik, Leiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts zur Erforschung des Holocaust, der taz. „Eine Aktion a la Aktenzeichen XY ist der falsche Weg, mit NS-Verbrechern umzugehen.“ Bedenken, die der Zentralrat der Juden in Deutschland teilt. „Letztendlich ist das eine Kopfgeldaktion. Ich halte eine solche in Deutschland für unangemessen“, sagte Generalsekretär Stephan J. Kramer der Jüdischen Allgemeinen. Sowohl das Fritz-Bauer-Institut als auch der Zentralrat werden die Aktion nicht unterstützen.

Unmoralische, fragwürdige Methoden? Dieser Vorwurf kann Zuroff nicht treffen.
Noch im Juni will er nach Deutschland kommen, um für Unterstützung zu werben. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen weist der Fahndungsleiter darauf hin, daß die Belohnungspraxis ja keinesfalls unüblich sei, um Mörder aufzuspüren. „Die Vereinigten Staaten haben fünfundzwanzig Millionen Dollar auf Terrorchef Osama bin Laden ausgesetzt. Wo ist da der Unterschied.“ Sein Job sei es eben, NS-Mörder zu fassen. Und noch etwas gibt er freimütig zu. Es geht ihm auch darum, Interesse für die „Operation letzte Chance“ zu wecken. „Wenn wir keine Belohnung aussetzen würden, käme vielleicht gerade mal eine Handvoll Journalisten zu unseren Pressekonferenzen. So sind es vielleicht sogar ein paar hundert Medienvertreter, die dann über unsere Aktion berichten.“ Jagt alte Nazis in aller Welt: Efraim Zuroff Foto: Reuters