16 september 2004  
  JÜDISCHE ALLGEMEINE  
 

- „Die Belohnung war kein Anreiz“ - Das Wiesenthal-Center verschiebt seine Jagd auf NS-Verbrecher Eigentlich hätte die Aktion schon im Juni anlaufen sollen, dann wurde der Starttermin auf den 20. September verlegt. Jetzt verschob das Simon-Wiesenthal-Center die Einführung seiner „Operation letzte Chance“ in Deutschland um weitere zwei Monate auf den November. Man scheint es mit der Jagd auf die verbliebenen NS-Verbrecher nicht allzu eilig zu haben. Seltsam, schließlich arbeitet die Zeit gegen die Ermittler.

Die aufzuspürenden Täter sind alt, oft gebrechlich und somit haftunfähig. Schon deshalb ist die Aktion fast sechzig Jahre nach Kriegsende umstritten. Doch auf Kritik stößt auch die Methode, mit der das Zentrum Informationen über NS-Verbrecher sammeln möchte. Zehntausend Euro Belohnung locken denjenigen, dessen Hinweise zu einem Gerichtsverfahren und einer Verurteilung führen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland konnte diesem Verfahren nichts abgewinnen, und Micha Brumlik vom Fritz Bauer Institut in Frankfurt monierte einen „Denunziationseffekt“. Hat die Kritik Folgen gezeigt und das Wiesenthal-Center kalte Füße bekommen?

Wird der Einführungstermin hinausgezögert, um weiterer Kritik zu entgehen und sich nicht zu isolieren? „Keines- falls“, sagt Efraim Zuroff, der Direktor des Zentrums in Jerusalem. Es handele sich tatsächlich um „Terminschwierigkeiten“. Er spürt den Unglauben und lacht: „Hören Sie, die Aktion wird von der Organisation Targun Schlischi mitfinanziert. Dem Vorsitzenden liegt sehr viel daran, bei den Eröffnungen dabei zu sein, und er hat nun mal seinen eigenen Terminkalender.“ Überzeugend klingt das alles nicht. Der Grund, warum man Zuroff doch Glauben schenken könnte, ist ein anderer. Man habe bei der Einführung in den baltischen Staaten gehofft, mit der Belohnung an die Habgier von früher verurteilten und mittlerweile entlassenen NS-Verbrechern zu appellieren. Das kleine Euro-Vermögen sollte den Tätern einen Anreiz bieten, ihre ehemaligen Mordkameraden ans Messer zu liefern. „Das hat nicht funktioniert“, gibt Zuroff zu. Trotzdem seien mehrere hundert Namen zusammengetragen worden, in neun Fällen werde wegen Mordes ermittelt. Man könne „Operation letzte Chance“ nicht als gescheitert bezeichnen. Die Relevanz der Methode für die Bundesrepublik und die mäßigen Erfolgsaussichten scheint aber auch Zuroff realistisch zu sehen. Man denke zwar darüber nach, die Belohnung zu erhöhen, doch habe der Aufruf noch einen angenehmen und nicht unbeabsichtigten Nebeneffekt. „Wenn ich mich in Frankfurt vor die Presse stelle und verkünde: ,Liebe Menschen, geht noch einmal in euch und nennt mir freundlicherweise alle NS-Verbrecher, die ihr noch kennt‘, was glauben Sie, wie viele Zeitungen davon am nächsten Morgen berichten werden?“ Michael Borgstede