27.05.2008 12:14 Uhr

sueddeutsche.de
  "Die Schwestern ahnten, was mit diesen Leuten passiert"
Generaloberin Benigna und Domkapitular Anneser über die "Euthanasie"-Opfer aus Schönbrunn während der Jahre 1940 bis 1945.
 
 

Was geschah 1940 bis 1945 in Schönbrunn? Was wussten die Ordensschwestern über die sogenannte Euthanasie, die zunächst offiziell verordnet, 1942 dann auf Druck der Öffentlichkeit geheim als "wilde Euthanasie" weitergeführt wurde und der eine nicht genau bekannte Zahl von Schönbrunner Patienten in Haar zum Opfer fiel?

Welche Rolle spielte der Dachauer Professor Hans Joachim Sewering dabei, dem nachgewiesen wurde, dass er damals als junger Arzt eine Überweisung unterschrieb für eine 14-jährige behinderte Schönbrunn-Patientin, die dann in der Anstalt Haar-Eglfing ermordet wurde. Und hat die Justiz gar den "Fall Sewering" verschlafen?

Die Süddeutsche Zeitung hatte 1997 Gelegenheit, in einem Exklusiv-Interview mit der Generaloberin der Schönbrunner Schwestern, Schwester Maria Benigna Sirl, sowie mit dem Pressereferenten des Erzbischöflichen Ordinariats München, Domkapitular Dr. Sebastian Anneser, über diese Fragen zu sprechen.

SZ: Über die Umstände in den frühen 40er Jahren in der Behinderteneinrichtung Schönbrunn kursieren zwei Versionen, soweit es das Thema Euthanasie und Transport nach Haar-Eglfing angeht. Einmal jene, die Professor Hans Joachim Sewering verbreitet hat, nämlich dass man 1943 hier in Schönbrunn "nichts mehr geahnt" habe; zum anderen die, welche die "Kongregation der Dienerinner der Göttlichen Vorsehung" von Schönbrunn durch eine offizielle Erklärung bekräftigt hat, wonach 1943/44 noch Sammeltransporte durchgeführt wurden. Die Schwestern wussten, was mit den Sammeltransporten 1940/41 geschah und hätten aus eigenem Ermessen niemals Einweisungen der ihnen anvertrauten Menschen nach Haar organisiert. Wie war das denn damals wirklich?

Schwester Benigna: Im Interview der Süddeutschen Zeitung vom Januar 1993 hat Herr Sewering gesagt, dass er volles Einverständnis mit den Schwestern über die Verlegungen nach Haar gehabt hätte. In dem Interview hat er den Eindruck erweckt, dass den Schwestern in Schönbrunn nicht bekannt gewesen ist, was mit den Patienten - also den dorthin verlegten behinderten Menschen - in Haar passiert. Sie hätten die Verlegungen deshalb guten Glaubens mehr oder weniger auch befürwortet. - Das kommt aus dem Interview so heraus, und das war der Auslöser, dass wir damals sagten, dem ist nicht so. Weil es nicht geht, daß Professor Sewering die Verantwortung für die Verlegungen damit den Schwestern zuschiebt.

SZ: . . . für Verlegungen, bei denen er als Arzt seine Unterschrift unter die Transportakte gesetzt hat.

Schwester Benigna: . . . ja, in diesem einen Fall (der Babette Fröwis, die als Jugendliche aus Schönbrunn nach Haar transportiert und dort als Opfer der sogenannten Euthanasie ermordet wurde; d. Red.). Aus unseren Unterlagen können wir belegen, dass 1943 insgesamt 203 behinderte Menschen nach Haar verlegt wurden und davon allein am 22. Dezember 179 Menschen. Also war es ein Sammeltransport und nicht eine Einzelüberweisung oder -einweisung nach Haar. Wer diese Einweisungen veranlasst hat, ist uns nicht bekannt. Wir wussten auch nichts Näheres von dieser Babette Fröwis bis zu dem Zeitpunkt, als das im Spiegel erschienen ist (1978 und 1993; d. Red.).

Wir wollten das richtigstellen aus unserer Sicht, dass eben die Schwestern sehr wohl wussten, dass zwischen 1940 und 1944 planmäßiger Abtransport von behinderten Menschen erfolgt ist von Schönbrunn nach Haar. In diesem Zusammenhang haben wir erklärt: Die Schwestern ahnten, was mit diesen Leuten dort passiert, dass so genanntes "unwertes Leben" vernichtet wird. Aus dieser Zeit – 1940 und 1941 vor allem ...

SZ: ... als Euthanasiemorde auf offizielles Geheiß und systematisch ausgeführt wurden ...

Schwester Benigna: ... ja. In diesem Zusammenhang wurde von uns geäußert: Die Schwestern wussten sehr wohl, was dort passiert. 1943 gab es noch einmal Sammeltransporte. Da wussten die Schwestern natürlich nicht, was dort tatsächlich passiert, sondern aus dem Erleben dieser Zeit und aus eigener Veranlassung hätten sie natürlich nie jemanden dorthin verlegt. Das Miterleben der Transporte, dieser schlimmen Zeit war schwer.

Die behinderten Menschen haben gefühlt, was mit ihnen passiert und sich dagegen gewehrt, und die Schwestern waren dem machtlos ausgeliefert. Sie konnten das nicht verhindern.

Sie konnten lediglich - und das ist ja in Schönbrunn gemacht worden - die Akten "säubern" in einer großen Aktion bei Nacht. Es sind ja von außen SS-Ärzte gekommen und haben die Akten durchforstet. Die Schwestern haben durch diese Aktion manchem das Leben gerettet.

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