29.11.2016 07:14 ndr.de
BGH bestätigt Urteil gegen Ex-SS-Mann Gröning

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat die Revision des Verfahrens gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning verworfen. Damit ist erstmals ein Urteilsspruch wegen Beihilfe zum massenhaften Mord in einem NS-Vernichtungslager höchstrichterlich bestätigt. Der Anwalt des 95-Jährigen, Hans Holtermann, bestätigte die Entscheidung des BGH am Montag.

Wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt

Gröning war im Juli 2015 wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau vom Landgericht Lüneburg zu einer Haftstrafe von vier Jahren Haft verurteilt worden. Aufgrund des Gesundheitszustands von Gröning ist unklar, ob beziehungsweise wann der hochbetagte frühere SS-Mann die Haftstrafe antreten muss. In jedem Fall muss Gröning die Kosten des Verfahrens tragen. Wie hoch die Gesamtkosten für den Prozess sind, ist unterdessen noch unklar.

Bisher 380.000 Euro für Anwälte aufgelaufen

Oskar Grönings Verteidiger, der hannoversche Anwalt Hans Holtermann, sagte NDR.de, dass sich die Gesamtkosten für das Verfahren seriös noch nicht abschätzen lassen. Ob der frühere SS-Mann die enormen Kosten überhaupt wird bezahlen können, dazu wollte sich der Jurist gegenüber NDR.de nicht äußern. Nach Angaben des Landgerichts Lüneburg sind bisher an die Pflichtverteidiger und die Anwälte der Nebenklage 380.000 Euro ausgezahlt worden. "Das ist aber erst ein vorläufiger und unvollständiger Betrag", machte ein Sprecher des Landgerichts auf Nachfrage von NDR.de deutlich. Zur Gesamtsumme kämen auch die Reisekosten für die Zeugen, die zum Teil aus Israel und den USA zum Prozess angereist waren. Außerdem müssten die Sachverständigen bezahlt werden. Offen ist auch noch, ob der Bundesgerichtshof Kosten für das Revisionsverfahren in Rechnung stellt.

Grönings Beitrag am NS-Vernichtungsapparat

Der Prozess gegen den früheren SS-Mann galt als eines der letzten großen Auschwitz-Verfahren in Deutschland. Oskar Gröning hatte vor Gericht eingeräumt, das Geld der verschleppten und später getöteten Juden verwaltet und die Ankunft der Transporte an der Rampe von Auschwitz-Birkenau mit beaufsichtigt zu haben. Die Lüneburger Richter werteten dies als Beitrag zum Funktionieren der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie. Dazu heißt es in ihrem Urteil, dass Gröning als Mitarbeiter der Devisenabteilung durch das Bewachen von Gepäck und das Verwalten der Gelder im Lager die grausamen und heimtückischen Morde gefördert habe.

Während der "Ungarn-Aktion" Dienst in Auschwitz

Sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust wurde Oskar Gröning verurteilt, obwohl ihm keine direkte Beteiligung an den Mordtaten in Auschwitz-Birkenau nachgewiesen werden konnten. Im Lüneburger Verfahren stand vor allem die sogenannte Ungarn-Aktion im Mittelpunkt der Anklage. Innerhalb weniger Monate hatten die NS-Täter 1944 in Auschwitz-Birkenau mehrere Hunderttausend ungarische Juden mit Giftgas getötet.

Entscheidung aus Karlsruhe begrüßt

Die Anwälte der Nebenkläger begrüßten die Entscheidung der Karlsruher Bundesrichter. "Auschwitz war ein Ort an dem man nicht mitmachen durfte", erklärten die Anwälte Thomas Walther und Cornelius Nestler. Diese Auffassung habe sich spät, aber nicht zu spät jetzt auch bis zu den Obergerichten durchgesetzt. Das Internationale Auschwitz-Komitee bewertet den Spruch aus Karlsruhe als "lange wirkendes Signal" auch für künftige Völkermord-Prozesse. Dessen Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner sagte, dass nun endgültig deutlich sei, dass "jeder, der in Auschwitz mitgemacht hat, mitverantwortlich und mitschuldig ist". Der Leiter des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, Efraim Zuroff, forderte Deutschland auf, weitere NS-Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. "Die Zeit verringert nicht die Schuld dieser Mörder."

Justizminister Maas: "Kein Schlussstrich bei Auschwitz"

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schrieb via Twitter: "Für Gerechtigkeit ist es nie zu spät, auch bei der juristischen Aufarbeitung von Auschwitz darf es keinen Schlussstrich geben." Die NS-Verstrickungen des Bundesjustizministeriums sind jüngst in einer breitangelegten Studie unter dem Titel "Die Akte Rosenburg" veröffentlicht worden. Ein weiterer Beleg dafür, dass neben SS, Gestapo, Streitkräften und Zivilbehörden viele Institutionen des nationalsozialistischen Deutschlands am systematischen Juden- und Völkermord direkt oder indirekt beteiligt waren.

Weitere Prozesse gegen Holocaust-Beteiligte?

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs könnte den Weg frei machen, auch anderen noch lebenden früheren NS-Tätern den Prozess zu machen. Jüngst war allerdings ein Verfahren vor dem Landgericht in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) gegen einen früheren SS-Sanitäter geplatzt. In der Bundesrepublik wurden Beteiligte des systematischen NS-Massenmords jahrzehntelang nicht zur Verantwortung gezogen, weil sie zwar Rad im Getriebe waren, aber nicht selbst getötet hatten. Eine Wende leitete erst das Münchner Urteil gegen den früheren Sobibor-Aufseher John Demjanjuk von 2011 ein. Dessen Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord an 28.000 Juden wurde allerdings nie rechtskräftig, weil Demjanjuk vorher in einem Pflegeheim starb.

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