06.02.2016 hiergeblieben.de
Dem "Henker von Fossoli" blieb ein Prozess auf deutschem Boden erspart
Von Marianne Schwarzer

Massenerschießungen: Der gebürtige Veldromer Karl Friedrich Titho musste sich lediglich für seine Beteiligung an Verbrechen in den Niederlanden verantworten / Er wurde dafür zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber bereits zwei Jahre später nach Deutschland abgeschoben / In den 70-er Jahren wurde ein Ermittlungsverfahren zu seinen Taten als Leiter eines Durchgangslagers in Italien eingestellt - von Nationalsozialisten der ersten Stunde.

Kreis Lippe. Wäre es nach einigen engagierten Lippern gegangen, dann hätte es Anfang des Jahrtausends schon einmal einen NS-Prozess in Detmold gegeben. Es sollte anders kommen: Der in Veldrom geborene Karl Friedrich Titho wurde für seine Taten in einem italienischen Strafgefangenenlager niemals zur Rechenschaft gezogen, er starb 2001 im Alter von 90 Jahren.

Der Blomberger Stadtarchivar Dieter Zoremba hatte sich zuvor mit Gleichgesinnten aus der linken Szene in Detmold daran gemacht, den unbehelligt in Horn-Bad Meinberg lebenden ehemaligen SS-Obersturmbannführer mit seiner Vergangenheit als Kommandant des Durchgangslagers Fossoli in Italien zu konfrontieren. Von diesem Lager wurden Häftlinge direkt nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager deportiert. In seiner Zeit als Lagerleiter wurden hier überdies 1944 67 Gefangene erschossen - angeblich eine "Vergeltungsmaßnahme" für einen Partisanen-Anschlag in Genua, bei dem sieben Wehrmachtsoldaten den Tod gefunden hatten. "Henker von Fossoli" sollten ihn die italienischen Medien später nennen.

Tithos Beteiligung an diesen Verbrechen in Italien war zwar Anfang der 70-er Jahre Gegenstand einer Strafermittlung. Doch kam es am 12. Februar 1971 zu einer Einstellung des Verfahrens von der Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund.

Dem Beschuldigten könne "nicht mit hinreichender Sicherheit die Kenntnis davon nachgewiesen werden, dass die deportierten jüdischen Gefangenen später in den Konzentrationslagern getötet werden sollten", hieß es in der Urteilsbegründung. Mit Blick auf das nahende Kriegsende und den Vormarsch der Alliierten Streitkräfte hätte es ja auch sein können, "dass die aus Italien deportierten Juden nicht mehr getötet werden würden".

Bei der angeblichen "Vergeltungsmaßnahme" vom 12. Juli 1944 seien "keine Tatbestandsmerkmale des Mordes festzustellen, insbesondere nicht niedrige Beweggründe und keine grausame Tatausführung, so dass die Exekution allenfalls als Totschlag anzusehen ist, insoweit ist die Strafverfolgung verjährt". Historiker Dieter Zoremba wundert sich nicht darüber: "Dazu muss man wissen, dass die beiden Leiter der Behörde zwei Nationalsozialisten der ersten Stunde waren", sagt er.

Das war in den Niederlanden anders: Bereits 1942 war Titho an einer Massenerschießung von russischen Strafgefangenen beteiligt. Dafür wurde er in den Niederlanden 1951 zu sechs Jahren Haft verurteilt, wegen der "Misshandlung von niederländischen Häftlingen" zu einem weiteren Jahr. Er saß nicht die ganze Zeit ab. Bereits im April 1953 kehrt er nach Lippe zurück. Seine größte Sorge sei gewesen: "Wird man es unsere Familien in der Heimat spüren lassen, dass der Mann oder der Sohn als Strafgefangener im Gefängnis sitzt? Dankbar berichtet der Heimkehrer, wie sehr seine Frau in Horn überall Unterstützung fand", schrieb ein Redakteur der Lippischen Landes-Zeitung damals. Über die Kriegsverbrechen verlor Titho seinerzeit kein Wort, und der Journalist fragte offenbar auch nicht danach.

Knapp 50 Jahre später zeigte er die lippischen Antifa-Vertreter wegen Verleumdung an, als sie das Thema erneut ans Licht holten. "Wir haben allerdings immer nur über den Sohn kommuniziert, wir wollten den alten Mann ja nicht einfach überfallen", erinnert sich Zoremba. Es sei schon eine anstrengende Zeit gewesen: "Es ist etwas anderes, in Akten zu forschen, als jemanden konkret zu beschuldigen." Ihm und seinen Mitstreitern sei wichtig gewesen, dass die Opfer des Faschismus nicht hinter anonymen Zahlen und Begriffen verschwinden, sondern ihnen ein Gesicht zu geben. "Dazu gehört auch, die Täter mit ihren Taten zu konfrontieren und eine Auseinandersetzung um die individuelle und die gesellschaftliche Verantwortung für das Geschehene zu führen."

Immerhin gab Titho kurz vor seinem Tod noch eine Erklärung ab: Er sei sich darüber im Klaren, "dass er als Mitglied der SS Mitschuld an den Taten habe, die von der SS in meinem Tätigkeitsfeld verübt wurden. Das belastet mich seit Jahrzehnten, und ich möchte auf diesem Weg Opfer und Angehörige um Verzeihung bitten."

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