06.02.2016 lz.de
Vom jungen Fabrikarbeiter zum KZ-Wachmann
Silke Buhrmester

Detmold. Es ist der bedeutendste Prozess, der je in Detmold stattgefunden hat: Ab Donnerstag, 10 Uhr, verhandelt die Große Strafkammer des Detmolder Landgerichts gegen den ehemaligen SS-Mann Reinhold H.. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen. Der Lagenser war ab Januar 1942 als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz tätig. Seinen Einsatz bestreitet der Mann nach LZ-Informationen nicht, wohl aber die Beteiligung an den Tötungen.

Mehr als 60 Seiten umfasst die Anklageschrift, die Oberstaatsanwalt Andreas Brendel von der Zentralstelle des Landes NRW für die Bearbeitung der NS-Massenverbrechen vor nunmehr fast einem Jahr verfasst hat.

Reinhold H. wurde 1921 in Lippe geboren. Mit 14 verließ er die Volksschule, danach war er als Fabrikarbeiter tätig. Im April 1935 trat er in die Hitlerjugend ein. Mit 18 soll er sich nach LZ-Recherchen freiwillig zur Waffen-SS gemeldet haben. Bis zu seiner Versetzung zum SS-Totenkopfsturmbann Auschwitz im Januar 1942 soll er in der SS-Division ,,Das Reich“ gewesen sein.

Im KZ Auschwitz soll er zunächst der 5. und später der 3. Kompanie des SS-Totenkopfsturmbanns angehört haben. Der Sturmmann wurde später zum SS-Rottenführer und im September 1943 zum SS-Unterscharführer (entspricht einem Unteroffizier in der Wehrmacht) befördert.

Die Anklage wegen Beihilfe an den Massenmorden in Auschwitz bezieht sich nur auf die Zeit von Januar 1943 bis Juni 1944. Am 13. Juni 1944 wurde H. zur 9. Kompanie des SS-Totenkopfwachbataillons ins KZ Sachsenhausen versetzt. Im Mai 1945 geriet er bei Berlin in Gefangenschaft, drei Jahre später wurde er entlassen.

Das Landgericht Detmold hat zunächst zwölf Prozesstage bis zum 20. Mai anberaumt. 13 Zeugen stehen auf der Liste der Staatsanwaltschaft – neben zwei Beamten des Landeskriminalamtes, das die Ermittlungen führte, auch Auschwitz-Überlebende aus Polen, Israel, Ungarn und den USA. Daneben werden 76 Aussagen aus Vernehmungen von Holocaust-Opfern angeführt, die mittlerweile verstorben oder nicht mehr zu ermitteln sind. Die Akten stammen aus den Jahren 1959 bis 1979.

Verhandelt wird der Auschwitz-Prozess im Saal der Detmolder Industrie- und Handelskammer. Denn das öffentliche Interesse ist groß. Neben 60 Journalisten und den 38 Nebenklägern, die von zwölf Anwälten vertreten werden, finden auch 60 normale Zuhörer Platz. Hier gilt der Grundsatz: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Das Gebäude öffnet 90 Minuten vor Prozessbeginn. Besucher werden an zwei Sicherheitsschleusen genauestens kontrolliert.

Die Initiative „Gegen das Vergessen“ hat am Prozesstag von 8.30 bis 13 Uhr eine Mahnwache gegenüber der IHK am Leonardo-da-Vinci-Weg angemeldet. „Dazu werden rund 100 Teilnehmer erwartet“, sagte Polizeisprecher Lars Ridderbusch. Erkenntnisse, nach denen rechte Gruppierungen den Prozessauftakt stören könnten, habe seine Behörde bislang nicht, so Ridderbusch. Allerdings werde die Polizei mit einem größeren Aufgebot vor Ort sein, den Verkehr regeln und unter Umständen Personen- und Fahrzeugkontrollen durchführen. Rund um das IHK-Gebäude werde es keine Straßensperrungen geben, wohl aber Halteverbote.

Bereits für Mittwoch hat das Internationale Auschwitz Komitee zusammen mit den drei Holocaust-Überlebenden und Nebenklägern Erna de Vries, Leon Schwarzbaum und Justin Sonder sowie deren Anwälten Thomas Walther und Professor Dr. Cornelius Nestler zu einem Pressegespräch eingeladen.

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