07. Mai 10:33

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  Zuroff bleibt Nazis auf den Fersen  
 

Efraim Zuroff jagt seit fast 30 Jahren Nazi-Verbrecher quer durch die Welt. Deutschland zeige bei der Verfolgung zwar politischen Willen, aber es fehle an «besessenen Staatsanwälten», beklagt der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums.

Der letzte Nazi-Jäger hatte mit Deutschland länger ein Problem. Es sah so aus, als ob in dem neuen Jahresbericht Deutschland wieder ein F für Failure - gescheitert - bekommt. Eine Anklage in München vom Januar gegen den ehemaligen Gebirgsjäger Josef Scheungraber hat für Efraim Zuroff vom Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem nun vieles geändert. Die Bundesrepublik wird jetzt in seinem neuen Jahresbericht über die weltweite Verfolgung von Nazi- Kriegsverbrechern ein B - und damit ein gut - erhalten. Ein großes Problem bleibt für ihn aber bestehen. An fünfter Stelle der zehn Meistgesuchten steht der in Deutschland lebende Soeren Kam. Zuroff will erreichem, dass das ehemalige SS-Mitglied an Dänemark ausgeliefert und dort angeklagt wird.
« In Deutschland gibt es den politischen Willen, Anklagen zu erheben. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man dafür besessene Staatsanwälte braucht (...) In Deutschland werden die Fälle einfach nicht mit Eifer und der notwendigen Energie behandelt. Sie werden auf bürokratische Art und Weise geregelt. Und das ist die beste Methode, (...) um sicherzustellen, dass nichts passiert», sagt Zuroff. «Man muss so schnell wie möglich agieren, bevor die Zeugen sterben oder die Verdächtigen krank werden. Und Zuroff sieht noch ein weiteres Problem - über die deutsche Grenze hinaus: «Es ist heute absolut schwieriger, Regierungen zu überzeugen, Maßnahmen gegen mittlere oder niedrigere Dienstränge zu ergreifen.»

Seit 28 Jahren verfolgt Zuroff Nazi-Verbrecher und Kollaborateure quer durch die Welt. «Wenn jemand unmittelbar nach dem Krieg gefragt hätte: «Kannst du dir vorstellen, dass noch jemand 63 Jahre nach Kriegsende Nazi jagt?» dann hätte man gesagt, das ist absolut verrückt.»


Schock nach Tod von Erna Wallisch

Der letzte Nazi-Jäger, der 2008 erstmals für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, hat in diesem Jahr einen seiner größten Erfolge und zugleich eine seiner größten Enttäuschungen erlebt. Und beides betrifft den Fall der ehemaligen österreichischen KZ-Aufseherin Erna Wallisch. «Als Polen mit fünf neuen Zeugen kam, und die Österreicher gezwungen wurden, den Fall neu aufzurollen, war das für mich der fantastischste Sieg. Halleluja», sagt Zuroff. Häftlinge hätten Wallisch als besonders grausam beschrieben. Als die 85-Jährige wenige Wochen später im Februar starb, brach für Zuroff eine Welt zusammen. «Ich war stocksauer. Ich war völlig geschockt. Ich bin wochenlang deprimiert rumgelaufen.»

Trotz des hohen Alters mancher Täter will Zuroff die Jagd nach den großen Fischen nicht aufgeben. An erster Stelle steht für das Wiesenthal-Zentrum nun Aribert Heim. «Wenn ich Heim fände, wäre das fantastisch», sagt er. «Dr. Tod», wie Häftlinge den aus Österreich stammenden SS-Arzt im Konzentrationslager Mauthausen nannten, soll Häftlingen Giftspritzen direkt ins Herz gesetzt haben. Im Vorjahr erhielt Zuroff einen vermeintlich goldenen Tipp. Danach war Heim mit seiner unehelichen Tochter Waltraud an einem sehr abgeschiedenen Platz in Chile gesehen worden. «Wir sind mit großen Erwartungen hingefahren. Doch dann stellt sich heraus: Er ist es nicht. Es war einfach nicht Heim. Das war ein fürchterliches Gefühl.»


Leute ohne Gewissen leben länger

Auch die Suche nach der ehemaligen Nummer eins auf der Liste, Nazi-Kriegsverbrecher Alois Brunner, geht weiter. «Der wäre heute 96 Jahre alt. Ich sage immer, Leute ohne Gewissen leben länger», sagt Zuroff. Brunner war einer der verantwortlichen Organisatoren des Massenmordes an sechs Millionen Juden. Unklar ist, ob er heute noch lebt. «Ich bete jeden Tag für die Gesundheit der Nazis. Aber nur jene, die ich auch vor Gericht bringen kann», sagt Zuroff.

«Der Holocaust hat in 20 verschiedenen Ländern stattgefunden. In jedem Land gab es lokale Kollaborateure. Viele von ihnen sind noch am Leben. Da draußen laufen noch Tausende von denen rum», sagt Zuroff. Seine Motivation, trotz mancher Rückschläge und Steine, die ihm immer wieder in den Weg gelegt werden, beschreibt der Nazi-Jäger so: «Unsere Generation hat eine Schuld gegenüber den Opfern, und das bedeutet, dass wir angemessene Anstrengungen unternehmen, um die Mörder vor Gericht zu bringen. Das ist es, was jeder von ihnen verdient. Nehmen wir mal an, ich würde morgen sagen, ich kann nicht mehr, ich höre auf. Was würden die Opfer sagen?»

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