19.12.2014 nachrichten.de
REPORT: Das letzte Geheimnis des Alois Brunner

Seit wenigen Tagen weiß die Welt vom Tod des NS-Massenmörders. Die Nachricht geht zurück auf einen deutschen Polizisten - der über außergewöhnliche Quellen verfügte.

Ein Friedhof am Stadtrand von Damaskus. Auf einer Grasfläche neben Gräbern liegt eine Getränkedose, wie achtlos weggeworfen. Doch ein syrischer Geheimdienstmann hat sie absichtlich dorthin gelegt, um eine Stelle zu markieren: Die letzte Ruhestätte des weltweit gesuchten Nazi-Verbrechers Alois Brunner.

Bald schlendert ein anderer Mann über den Friedhof und fotografiert das Fleckchen Erde mit der Alu-Dose. Es ist ein deutscher Ex-Polizist. Das Foto gibt er später zusammen mit weiteren Informationen an den Historiker Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center in Jerusalem weiter. Das war vor etwas mehr als vier Jahren.

Der ehemalige Kriminalkommissar K. ist jener Mann, auf dessen Recherchen sich Efraim Zuroff berief, als er vorige Woche in Jerusalem bekannt gab, das Simon Wiesenthal Center habe Alois Brunner jetzt von der Liste der letzten noch gesuchten Nazi-Verbrecher gestrichen. Er sei tot und in Damaskus begraben.

Alois Brunner gehörte zu den wahrhaft schrecklichen Gestalten des 20. Jahrhunderts. Er wirkte im Dritten Reich als „Ingenieur der Endlösung“ und rechte Hand von Adolf Eichmann. In Frankreich wurde er zum Tode verurteilt. Bis heute gibt es internationale Haftbefehle der deutschen und der österreichischen Justiz.

Dass sich der ehemalige SS-Hauptsturmführer seit seiner Flucht aus Europa Mitte der 50er-Jahre in Syrien versteckte, war kein Geheimnis. In den 80er-Jahren meldete sich der gebürtige Österreicher von dort mit zwei Interviews und gab sich als unbelehrbarer Judenhasser zu erkennen.

Obwohl sein Versteck also bekannt war, kam die Justiz nicht ran an „Dr. Georg Fischer“, wie er sich in Syrien nannte. Der Schutz der Assad-Diktatur hielt bis zuletzt. „Israel wird mich nie bekommen“, höhnte der braune Asylant. Selbst der Mossad scheiterte an Syriens Schutzschirm, verletzte ihn allerdings zweimal mit Briefbomben. „Fischer“ verlor ein Auge und mehrere Finger.

Woher will nun das Simon Wiesenthal Center wissen, dass Brunner inzwischen tot ist? Schon vor vier Jahren habe man von einem deutschen Geheimdienstmitarbeiter, der lange im Nahen Osten stationiert gewesen sei, erfahren, so gab Efraim Zuroff jetzt bekannt, dass Brunner ein oder zwei Jahre zuvor in Damaskus verstorben und auch dort begraben sei. Zwar habe man keinen letztgültigen forensischen Beweis für Brunners Tod beschaffen können. Da der 1912 geborene Brunner aber mittlerweile ohnehin über 100 Jahre alt sein müsste, gehe man davon aus, dass er tatsächlich verstorben sei. Man habe ihn nicht mehr auf die neue Fahndungsliste gesetzt.

Wer war der Mann, dem es gelungen sein soll, den Tod des Massenmörders zu recherchieren? Er war kein Geheimdienst-Agent, wie Zuroff sagt, sondern ein ehemaliger Polizist. Allerdings hat dieser mittlerweile ebenfalls verstorbene Kriminalbeamte tatsächlich den größten Teil seines spannenden Berufslebens in verschiedenen arabischen Ländern verbracht, mal als Personenschützer deutscher Botschafter, mal als Verbindungsbeamter des Bundeskriminalamts oder Sicherheitsberater dortiger Regierungen. Der damalige jordanische König Hussein etwa zeichnete ihn persönlich „für seine außerordentlichen Verdienste“ mit dem höchsten an Ausländer zu vergebenden Orden aus.

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Sein Meisterstück lieferte er Ende der 70er-Jahre während seiner Zeit an der deutschen Botschaft in Beirut: Er führte Informanten in der palästinensischen Terrororganisation PFLP-SC. Über ihn erhielt das BKA wertvollste Informationen über Aufenthalte und Reisebewegungen westeuropäischer Terroristen, die in den Camps der Palästinenser Unterschlupf gefunden hatten. So konnten etwa im Mai 1980 in Paris fünf RAF-Mitglieder verhaftet werden, kaum dass sie aus einem PFLP-SC-Camp im Jemen angereist waren. Über diesen Kanal, über den vor Jahren erstmals FOCUS berichtete (FOCUS 42/2000), erhielt das Bundeskriminalamt außerdem wertvolle Informationen über frühere Anschläge, etwa den Überfall auf die Opec-Konferenz im Dezember 1975 in Wien oder die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ im Oktober 1977.

Nach seiner Pensionierung 1997 machte sich „Abu Fares“, wie ihn seine arabischen Freunde und Partner nannten, mit seinen exzellenten Beziehungen als Berater und Geschäftsmann im Nahen Osten selbstständig; er handelte mit Sicherheitstechnik, hatte aber auch Feuerlöscher und Medizinbedarf im Angebot. An seine Vergangenheit erinnerte in seinem kleinen Büro in Amman nur eine Ehrenplakette an der Wand. Darauf stand um den Bundesadler herum „BKA Wiesbaden TE 12 Abteilung Terrorbekämpfung 1983“. Im selben Jahr hatte ihm der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

In Damaskus lernte „Abu Fares“, der fließend Arabisch sprach und mit einer Araberin verheiratet war, im Rahmen seiner Geschäfte die Pharmazeutin Buschra al-Assad kenne n, die das syrische Gesundheitswesen neu organisierte. Er beschaffte Medizintechnik für das Krankenhaus, in dem sie arbeitete.

Ein Volltreffer: Buschra ist die Schwester des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad. Über sie erfuhr er, dass der zuletzt schwerkranke Alois Brunner in einem Krankenhaus in Damaskus gestorben sei. Sie wird davon als hochrangige Funktionärin im Gesundheitswesen erfahren haben. Und: Sie war mit dem mittlerweile im Bürgerkrieg getöteten Chef des syrischen Militärgeheimdienstes, Assif Schaukat, verheiratet.

Buschra vermittelte auch den Kontakt zu dem Geheimdienstler, der die Getränkedose auf dem Friedhof deponierte. So erzählte der Ex-Polizist die Geschichte kurz vor seinem Tod dem FOCUS gegen die Zusicherung, mit einer Veröffentlichung weitere Ermittlungen abzuwarten.

Eine Alu-Dose statt Kreuz oder Kranz auf dem Grab - das Ende des Judenvernichters Alois Brunner in Damaskus.

Dieser Artikel stammt aus dem FOCUS Magazin, Ausgabe Nr.50, 2014 Inhaltsangabe Nr.50 Magazin-Archiv Abo bestellen Zum Thema „Ingenieur der Endlösung“ NS-Scherge Alois Brunner bereits seit Jahren tot Österreich 50 000 Euro für „Dr. Tod“ Adolf Eichmann Alois Brunner Baschar al-Assad Damaskus Efraim Zuroff Endlösung der Judenfrage Fares Fleckchen Friedhof Georg Fischer Getränkedose Information Jerusalem Mossad Polizeikommissar Polizist Ruhestätte Simon Wiesenthal Center Stadtrand Syrien Weitere Themen (13) Verbindungsbeamter Thema verfolgen

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