29. Juli 2008

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  Gesucht: Kriegsverbrecher
Interview Johanna Adorján
 
 

29. Juli 2008 Wo verstecken sich Kriegsverbrecher, wie tarnen sie sich? Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Tel Aviv, über die Suche nach dem KZ-Arzt Aribert Heim, die Ergreifung von Radovan Karadzic, Usama Bin Ladin und den Fall Milivoj Asner.

Sie sind eben von einer Reise nach Argentinien und Chile zurückgekehrt, wo Sie waren, um die Suche nach Aribert Heim voranzutreiben. Er war Arzt im KZ Mauthausen, sehr grausam, auf der Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher des Simon-Wiesenthal-Zentrums ist er die Nummer eins. Gibt es Neuigkeiten?

Wir haben ein paar Tipps bekommen, die ziemlich aussichtsreich erscheinen, darunter mindestens zwei Menschen, die behaupten, Aribert Heim vor relativ kurzer Zeit gesehen zu haben, und ihre Beschreibung von ihm passt genau.

Woher wussten sie, wer er ist?

Sie hatten die Bilder gesehen, die wir veröffentlicht haben.

Sie gehen also davon aus, dass er noch am Leben ist. Er wäre heute 94 Jahre alt.

Es gibt noch mehr Gründe, das anzunehmen, als diese zwei Sichtungen. Eine der Quellen erschien mir übrigens sehr glaubwürdig, die andere etwas weniger. Man muss jeder Spur einzeln nachgehen. Wir untersuchen jeden Hinweis sehr gründlich und hoffen, ihn in den nächsten Wochen zu kriegen.

Wo, glauben Sie, hält er sich auf?

Ich würde auf Chile wetten. Irgendwo in der Umgebung von Puerto Montt, Puerto Varas.

Warum haben Sie ihn noch nicht?

Hören Sie, wir hatten nie vor, Aribert Heim in einem Koffer mit uns nach Hause zu nehmen. Sie müssen verstehen, wie das läuft. Für diese Reise hatte ich zwei Ziele: Eines war es, die Anzeigenkampagne mit seinem Foto zu lancieren, die wir nächste Woche in Chile starten - vor allem in Lokalblättern, um auf diese Weise publik zu machen, dass es eine sehr hohe Belohnung für Informationen gibt, die zur Ergreifung Heims führen, 315.000 Euro. Das andere Ziel war, mich mit Behörden in Chile und Argentinien zu treffen, um sie dazu zu bringen, diese Ermittlung zu führen, als wäre es ihre eigene. Bisher handeln sie dabei ja nur im Auftrag von Deutschland. Und ich glaube, es ist ein Unterschied, ob man eine eigene Untersuchung führt oder nur im Auftrag einer anderen Regierung handelt.

Und wie haben sie reagiert?

Sehr gut. Wir mussten nicht hart arbeiten. Sie hatten schon Schritte in dieser Richtung unternommen, wenn sie nicht sogar schon dort waren.

Vor ein paar Tagen wurde Karadzic gefasst. Er lebte in Belgrad, mitten „unter uns“ sozusagen. Ist das das sicherste Versteck?

Man darf dabei nicht übersehen, dass er nicht die ganze Zeit in Belgrad war. Er hat sich lange in Bosnien und Montenegro versteckt, also war das Ganze eine Entwicklung. Als er das Gefühl hatte, sich nicht länger auf die Leute verlassen zu können, unter denen er sich versteckte, musste er umziehen. Er ging nach Belgrad, natürlich war das ein Risiko. Einerseits scheint es ziemlich smart - die meisten Leute würden ihn dort nicht vermuten. Andererseits ist die Chance, erkannt zu werden, dort natürlich viel höher - also veränderte er sein Aussehen. Er sieht jetzt sehr anders aus als auf den Fotos von früher. Es ist ein Glücksspiel. Was immer so jemand tut, ist ein Glücksspiel.

Karadzic hat sich einen beachtlichen Bart wachsen lassen, um nicht erkannt zu werden. Ist das die übliche Tarnung?

Sicher, da wird viel mit Bärten oder Schnurrbärten gearbeitet.

Ist Ihnen ein Fall bekannt, wo jemand plastische Chirurgie angewandt hat, um seine Gesichtszüge zu verändern?

Nicht das Gesicht, aber John Demjanjuk zum Beispiel, der KZ-Aufseher, der in Israel verurteilt wurde und freikam, weil seine Identität nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, hat sich seine SS-Tätowierung chirurgisch entfernen lassen.

Möglicherweise hat Heim sich die Narbe entfernen lassen, die als sein unabänderliches Kennzeichen gilt - eine v-förmige Mensurnarbe auf der rechten Wange?

Könnte sein. Das wäre das Einfachste, was er machen könnte. Obwohl man mit einem solchen Eingriff Aufmerksamkeit erregt. Man braucht also einen Chirurgen, dem man absolut vertraut und der einen nicht verrät für 315.000 Euro.

Wo, glauben Sie, hält Usama Bin Ladin sich versteckt?

Ich glaube, der riesige Vorteil für Bin Ladin ist, dass er sich in einer Umgebung aufhält, die sehr freundlich zu ihm ist. Es ist so gut wie sicher, dass er in einer Gegend ist, wo er unterstützt wird. Jeder, der mit dem Gedanken spielt, ihn zu verraten, geht ein hohes Risiko ein, und angenommen, er stünde unter Schutz, so würde er seine Familie in Gefahr bringen. Ich glaube nicht, dass das bei Heim auch so ist. Es mag einige Leute geben, die ihn unterstützen, aber ich glaube nicht, dass die Mehrzahl der Menschen in dieser Gegend einen Massenmörder unterstützt.

Wäre es nicht am sichersten, Bin Ladin hätte sich den Bart rasiert und betriebe eine kleine Galerie in Brooklyn, wo niemand ihn vermutet?

Zunächst einmal: Wie würde er nach Brooklyn kommen? Und außerdem kann ich Ihnen als jemand, der selbst aus Brooklyn kommt, sagen, dass es dort eine Menge Leute gibt, die herumschnüffeln.

Glauben Sie, Menschen wie Heim, wie Karadzic, leben ein glückliches Leben? Oder leben sie ständig in Furcht, entdeckt zu werden?

Da gibt es absolut keine Regeln, das hängt vollkommen von der jeweiligen Person ab. Es gibt Menschen, die auch unter schwierigen Umständen ein glückliches Leben führen können. Und es gibt Menschen, die leiden. Mengele beispielsweise: Er war extrem unzufrieden mit seiner Situation. Er war während seiner Zeit in Südamerika sehr mürrisch und oft schlecht gelaunt, das hat er in Briefen an seine Familie in Deutschland reflektiert. Aber das kann bei Heim total anders sein.

Waltraud, die Tochter von Aribert Heim, lebt in Puerto Montt, in Patagonien. Ist es möglich, ihr Telefon abzuhören, sie zu beschatten, ihre Mails zu checken?

Natürlich ist das möglich, gucken Sie keine Polizeiserien?

Ich meine, wird das getan?

Sie können nicht von mit erwarten, diese Frage zu beantworten.

Weil es eine laufende Ermittlung ist?

Exakt. Und weil das ein ganz entscheidender Aspekt ist, wie Sie sich vorstellen können.

Das gilt dann wohl genauso für Rüdiger Heim, einen seiner Söhne, der in Baden-Baden lebt.

Ja. Wobei wahrscheinlicher ist, dass es Waltraud ist, die Kontakt zu ihrem Vater hält. Nicht Rüdiger. Aber wer weiß, vielleicht erleben wir Überraschungen.

Der ehemalige Polizeichef des Ustascha-Regimes Milivoj Asner, verantwortlich für die Deportation Tausender Juden, Roma und Serben in Konzentrationslager, wurde während der Europameisterschaft bei einem gemütlichen Spaziergang über die Fanzone in Klagenfurt gesehen, er feierte mit kroatischen Fußballfans. Er gab der britischen „Sun“ sogar ein Interview, nachdem einer ihrer Reporter ihn erkannt und angesprochen hatte. Asner ist die Nummer vier auf Ihrer Liste der meistgesuchten Nazikriegsverbrecher. Wie kommt es, dass er sein Leben als freier Mann genießt?

Das müssen Sie Österreich fragen. Österreich behauptet, er sei nicht vernehmungsfähig und gesundheitlich nicht in der Verfassung, nach Kroatien ausgeliefert zu werden, so gesehen wird er von Österreich beschützt. Er fühlt sich sehr sicher, denn das Gericht hat entschieden, dass er an Demenz erkrankt ist und nicht ausgeliefert werden kann. Jetzt wurde ein neues Gutachten angefordert - dank mir natürlich. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass ich mich mit der österreichischen Justizministerin Maria Berger getroffen habe?

Nein.

Am 26. Juni in Wien. Ich bin wirklich wütend geworden, natürlich musste ich höflich bleiben, aber ich sagte ihr, dass das Ganze absolut lächerlich ist. Ich habe ihr eine eidesstattliche Erklärung des englischen Journalisten gegeben, der Asner 45 Minuten lang interviewt hat. Das ist wirklich eine schreckliche Sache, wie dieser Mann davonkommt.

Der Journalist versicherte, dass Asner einen sehr wachen und konzentrierten Eindruck gemacht habe und sich an ganz bestimmte Dinge offenbar nur nicht erinnern wolle.

Genau. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, dass Österreich, als Kroatien seine Auslieferung beantragte, behauptete, Asner habe die österreichische Staatsangehörigkeit. Was einfach nicht stimmt. Später hat Österreich das auch zugegeben. Sie haben es am 1. Februar 2006 zugegeben - man würde also denken, spätestens am 2. Februar hätte er in einem Zug nach Zagreb gesessen. Aber Österreich vertagte die Angelegenheit erst mal bis September und erklärte dann, Asner sei demenzkrank. Wie ich schon oft gesagt habe: Österreich ist ein Paradies für Naziverbrecher.

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