28.07.08, 09:44h

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  Finale Suche nach „Doktor Tod“
VON JAN W.
 
 

Das Wiesenthal-Zentrum sucht den Nazi-Kriegsverbrecher Aribert Heim per Flugblatt. Der ehemalige Arzt im KZ Mauthausen wird im Süden Chiles vermutet. 310 000 Euro Kopfgeld sind auf ihn ausgesetzt.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, und Efraim Zuroff hofft ihn zu gewinnen. „Operation Letzte Chance“ steht auf einem Flugblatt, das der 59-jährige Chef des Jerusalemer Wiesenthal-Zentrums derzeit im Süden Chiles verteilen lässt. Letzte Chance, denn Zuroff, der seit 30 Jahren untergetauchte Nazi-Kriegsverbrecher jagt, wähnt sich auf der heißen Spur zu einem 94-jährigen Greis mit grauen Augen und einer Mensurnarbe auf der rechten Wange, der seit Jahren die Wiesenthal-Liste der meistgesuchten Holocaust-Handlanger anführt. „Aribert Heim ist für mich der schlimmste Nazi-Kriegsverbrecher, der noch festgenommen werden kann“, sagt Zuroff.

Für die Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen war er „Doktor Tod“. Dr. med. Aribert Heim, gebürtiger Österreicher und Mitglied der Waffen-SS, stand seinem sadistischen Kollegen Josef Mengele im Lager Auschwitz in nichts nach. Während seines zweimonatigen Aufenthalts in Mauthausen 1941 injizierte er Hunderten Häftlingen Benzin oder Gift direkt ins Herz und nutzte eine Stoppuhr, um festzustellen, wie rasch sie starben. Mit Amputationen ohne Narkose wollte Heim zudem herausfinden, wie viel Schmerz ein Mensch ertragen kann. „Von all den Lagerärzten in Mauthausen war Heim mit Abstand der schrecklichste“, sagte Karl Lotter, ein politischer Häftling, der im Lagerlazarett arbeiten musste, nach dem Krieg.

Der Fall Heim ist eine Kette von Merkwürdigkeiten, wie auch Efraim Zuroff findet. Nachdem er das Kriegsende in Frankreich erlebt hatte, wurde Heim vom US-Militär festgenommen. Doch während weitere Mauthausen-Ärzte vor Gericht gestellt und abgeurteilt wurden, entließen die Amerikaner Heim im Dezember 1947 in die Freiheit. 22 Jahre später teilten deutsche Behörden mit, dass Heims Häftlingsakte manipuliert worden war, um die Tätigkeit in Mauthausen zu verschleiern. Zuroff vermutet, dass Heim sich den Amerikanern im Gegenzug als Spion angedient hat.

Jedenfalls fühlte sich Heim so sicher, dass er unter seinem richtigen Namen eine gynäkologische Praxis zunächst in Bad Nauheim und später in Baden-Baden eröffnete. Sie muss gut gelaufen sein, denn Heim leistete sich den Kauf eines Mietshauses in Berlin-Moabit. 1962 tauchte er über Nacht unter - Stunden bevor die Kripo an seiner Haustür schellte, um einen Haftbefehl zu präsentieren. Und so begann eine 46-jährige Flucht, die Heim nach Aufenthalten in Ägypten und vermutlich auch Spanien einen Weg wählen ließ, den andere gesuchte Kriegsverbrecher schon vor ihm gegangen waren - nach Südamerika.

310 000 Euro Kopfgeld verspricht das Flugblatt „Operation Letzte Hoffnung“, das das Wiesenthal-Zentrum derzeit in und um Puerto Montt in Süd-Chile verteilen lässt. Heim wäre nicht der erste gesuchte Nazi, der hier nach dem Krieg untergetaucht wäre. Erich Priebke, der am 24. März 1944 an der Erschießung von 335 italienischen Zivilisten in Rom beteiligt war, hielt sich im nahegelegenen argentinischen Ferienort Bariloche auf, wo auch Josef Mengele, der „Todesengel von Auschwitz“, bei seiner ersten Führerscheinprüfung durchfiel.

Auch Hans-Ulrich Rudel, hochdekorierter Luftwaffenoberst und Hitler-Bewunderer, besuchte die Stadt häufig. Knapp 15 Kilometer nördlich von Puerto Montt liegt der malerische See Lago Llanqihue. Die Kolonisierung durch deutsche Auswanderer schon vor dem Zweiten Weltkrieg wird sichtbar in Orten wie Puerto Varas oder Fruttilar, wo es überall „Kuchen“ und „Strudel“ gibt. Die Landschaft erinnert an den Bodensee, wäre da nicht in der Entfernung der 2652 Meter hohe Vulkan Osorno.

In der Hafenstadt Puerto Montt lebt Heims Tochter Waltraud, die Zuroff rund um die Uhr beobachten lässt, denn er ist überzeugt davon, dass Heim nicht ohne fremde Hilfe leben kann. Es war auch die Tochter, die 1993 versuchte, an das Konto des Vaters bei der Sparkasse Berlin heranzukommen, angeblich weil der Inhaber verstorben war. Die Bank weigerte sich, weil kein amtlicher Totenschein vorgelegt wurde. Da die stattliche Summe von 1,2 Millionen Euro noch immer unangetastet auf dem Konto liegt und Zinsen abwirft, ist Fahnder Zuroff überzeugt davon, dass Heim noch lebt. Das Geld, das er für sein Leben im Untergrund benötigt, bekomme er von seiner Tochter zugesteckt, die mit einem Geschäftsmann verheiratet ist, glaubt der Nazi-Jäger. Oder von Gudrun Burwitz (79), Tochter von SS-Chef Heinrich Himmler, die von München aus den Verein „Stille Hilfe“ leitet, der ehemalige SS-Mitglieder in Notlagen unterstützt.

„Mörder werden keine honorigen Menschen, wenn sie eine bestimmte Altersgrenze erreicht haben“, entgegnet Zuroff Stimmen, die meinen, dass man Greise nicht mehr strafrechtlich belangen soll. „Wenn wir die Verfolgung dieser Verbrechen zeitlich beschränken würden, hieße das, dass man mit Völkermord davonkommen kann.“

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