25. Juli 2008 9:52

einestages.spiegel.de
  Jagd durch die Jahrzehnte  
 

Giftspritzen ins Herz und OPs ohne Betהubung: Aribert Heim gilt als einer der schlimmsten NS-Kriegsverbrecher - und mittlerweile als der meistgesuchte. Seit 45 Jahren wird erfolglos nach dem KZ-Arzt gefahndet. Nun glauben Nazi-Jהger, den mittlerweile 94-Jהhrigen eingekreist zu haben. Von Johanna Lutteroth

Die Jagd nach dem meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher kצnnte sich ihrem Ende zuneigen: Fahnder des Simon-Wiesenthal-Zentrums sind Aribert Heim, einem der schlimmsten Nazi-Tהter, nach eigenen Angaben dicht auf den Fersen. Mehrere Augenzeugen hהtten den mittlerweile 94-jהhrigen Heim in den vergangenen sechs Wochen gesehen, erklהrte Efraim Zuroff, Chefermittler des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Die Chance, den frheren NS-Arzt dingfest zu machen, seien so gro wie noch nie. "Wir stehen jetzt besser da als vorher", sagte Zuroff gestern auf einer Pressekonferenz. "Das garantiert nicht, dass wir Heim fassen, aber ich habe Hoffnung."

Nach den Erkenntnissen der Nazi-Jהger soll sich Heim derzeit entweder im chilenischen Puerto Montt oder dem 160 Kilometer entfernten argentinischen San Carlos de Bariloche versteckt halten. Zuroff geht fest davon aus, dass Heim noch lebt. Dafr spreche, dass seine Kinder bisher keinen Anspruch auf sein in Deutschland liegendes Vermצgen in Hצhe von rund zwei Millionen Euro gestellt hהtten.

Heim diente zwischen Juli und November 1941 im Konzentrationslager Mauthausen, wo er Hהftlinge mit brutalsten Methoden quהlte. Berchtigt war er unter anderem dafr, seinen Opfern Giftspritzen direkt ins Herz zu injizieren. Auerdem fhrte er Operationen an Hהftlingen ohne Betהubung durch. Zeitzeugen erinnern sich an ihn als "Schlהchter von Mauthausen" oder "Dr. Tod". Oft wird Heim in einem Atemzug mit Josef Mengele genannt, der in Auschwitz medizinische Experimente von unvorstellbarer Grausamkeit an KZ-Insassen vornahm.

Ein ganz normales, brgerliches Leben

Obwohl sowohl sein Vorgesetzter im KZ als auch der Lagerapotheker im Mauthausen-Prozess 1947 verurteilt und hingerichtet wurden, kam Heim ungeschoren davon - ungeachtet zahlreicher Zeugenaussagen und Protokolle ber seine Folter-Operationen. Immer wieder wurde deshalb spekuliert, Heim habe seine Dienste - in welcher Form auch immer - den Amerikanern angeboten. Infolgedessen, so die These, seien seine Akten manipuliert worden. In Heims Unterlagen im Berliner Document Center, das NS-Personalakten bewahrt, taucht sein Einsatz in Mauthausen jedenfalls nicht auf, wie Recherchen des SPIEGEL im Jahr 2005 ergaben.

Bis 1962 lebte Heim vollkommen unbehelligt in der Bundesrepublik. Nach der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1947 arbeitete er zunהchst in einer Saline bei Heilbronn und kehrte 1949 endgltig in sein brgerliches Leben zurck. Nach einem Zwischenspiel als Assistenzarzt am Brgerhospital im hessischen Friedberg erצffnete Heim Anfang der fnfziger Jahre eine Frauenarztpraxis in Baden-Baden.

Erst 1957 wurde das erste Verfahren gegen ihn eingeleitet - und zwar vom Landgericht im צsterreichischen Linz. Kurze Zeit spהter nahm auch die Staatsanwaltschaft in Baden-Baden Ermittlungen gegen Heim auf und erlie am 13. September 1962 einen Haftbefehl. Am gleichen Tag tauchte der KZ-Arzt unter; den zur Festnahme ausgerckten Polizisten entwischte er dabei buchstהblich in letzter Sekunde. Seine Frau und die beiden Sצhne lie Heim in Baden-Baden zurck. Doch erst 1967 reichte Heims Ehefrau die Scheidung ein und distanzierte sich auch צffentlich von ihrem Mann.

45 Jahre Katz-und-Maus-Spiel

Seit nun mehr als 45 Jahren treibt Heim ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ermittlern. 1963 tauchte er angeblich noch einmal in Berlin auf, um seine Schwester mit der Verwaltung seines Vermצgens zu betrauen. Spהter wollten Zeugen ihn in Uruguay, Spanien, der Schweiz, in Chile und Brasilien gesehen haben. Anderen Hinweisen zufolge soll Heim zwischen 1963 und 1967 als Polizeiarzt in Kairo in ִgypten gearbeitet haben. Trotz der vielen Hinweise und intensiver Fahndung ging "Dr. Tod" der Justiz bisher nicht ins Netz.

Wiesenthal-Chefermittler Zuroff ist nun zuversichtlich, dass es diesmal anders ist. Er beruft sich auf einige konkrete Hinweise aus dem Umfeld von Heims unehelicher Tochter Waltraud Diharce die im chilenischen Puerto Montt lebt. Zuroff glaubt, dass sich Heim in ihrer Nהhe aufhהlt - ein Mann in Heims Alter kצnne eigentlich nicht mehr alleine leben, sondern brauche Untersttzung. Deshalb will er den Druck auf Heims Angehצrige erhצhen: "Menschen unter Druck machen Fehler", so Zuroff. Dass Heim lהngst tot sei, glaubt Zuroff nicht. Die Familie des Flchtigen hatte zwar bereits 1993 mitgeteilt, Heim sei in Argentinien verstorben. Da aber keine Sterbeurkunde vorgelegt wurde, hielten die meisten Ermittler die Meldung vom Ableben Heims fr eine Finte, die den Fahndungsdruck verringern sollte. Das allerdings ist 15 Jahre her.

Die Aktion in Sdamerika ist Teil der "Operation letzte Chance", die das Simon-Wiesenthal-Zentrum gemeinsam mit der Targum-Shlishi-Foundation vor sechs Jahren ins Leben rief, um die letzten noch lebenden NS-Tהter vor Gericht zu bringen, bevor sie sterben. Dafr setzten die Privatfahnder auch auf umstrittene Mittel: 315.000 Euro Belohnung sind fr denjenigen ausgelobt, der den entscheidenden Hinweis fr die Ergreifung Aribert Heims liefert.

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