Septemeber 8-14, 2005
Costa Blanca Rundschau
 

Spurensuche in Dénia

Von Holger Weber

 
 


Einer der letzten noch weltweit gesuchten Nazi-Verbrecher könnte an der Costa Blanca leben. Es handelt sich um Aribert Heim, der als Lagerarzt im Konzentrationslager Mauthausen hunderte von Häftlingen getötet haben soll. Laut eines Berichts des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" ist ihm ein Zielfahndungskommando aus Stuttgart auf der Spur. Heim, der am 28. Juni 1914 im österreichischen Radkersburg geboren wurde, soll seine Opfer mit Spritzen direkt ins Herz oder bei Operationen ohne Betäubung ermordet haben.

Laut Anklageschrift habe Heim bei einem Patienten den Bauch in ganzer Länge aufgeschnitten und daraus Gedärme, die Leber und die Milz entfernt, worauf das Opfer unter entsetzlichen Qualen verstorben sei. Heim ist ein Mann, „der an Sadismus nahezu alle KZ-Ärzte übertrifft", schreibt Autor Ernst Klee in seinem Buch „Auschwitz, die NS-Medien und ihre Opfer". Der Mediziner, so heißt es im „Spiegel", sei von ehemaligen Mauthausener Häftlingen als der schrecklichste von allen Lagerärzten beschrieben worden. Der damals junge unerfahrene Arzt soll seine Opfer in einer Mischung aus Rassenhass, medizinischer Neugier, Mordlust oder schlicht zu Trainingszwecken getötet haben.

„Wir sind uns sicher, dass Aribert Heim noch lebt", wird ein Fahnder im „Spiegel" zitiert. Die Frage ist nur wo. Seit seiner Flucht 1963 habe Heim, der nach dem Krieg zunächst ein bürgerliches Leben als Assistenzarzt im hessischen Friedberg und Gynäkologe in Baden-Baden führte, mit seinen Jägern Katz und Maus gespielt. Als Aufenthaltsorte galten zeitweise Ägypten und Uruguay. Auch in Deutschland soll der Nazi-Scherge wieder gesehen worden sein.

Bei den Untersuchungen stießen die Ermittler allerdings in schöner Regelmäßigkeit immer wieder auf ein Land: Spanien. Auch der berühmteste Nazi-Jäger, Simon Wiesenthal, hält es laut „Spiegel" für sehr wahrscheinlich, dass sich Heim auf der iberischen Halbinsel aufhält. Das Land galt, wie auch die südamerikanischen Staaten Argentinien oder Paraguay, vielen NS-Verbrechern als idealer Zufluchtsort. Heim sei hier gewesen, erinnert sich beispielsweise ein Wirt auf Ibiza gegenüber dem Nachrichtenmagazin. Der kleine Ort Figueral an der Nordküste der Baleareninsel hatte sich nach dem Krieg im Schutz des spanischen Diktators Franco eine Kolonie von Altnazis gebildet.

Im Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem liegt nun jedoch offenbar ein Bericht vor, wonach sich Aribert Heim an der spanischen Ostküste versteckt halten könnte. Die Wahlheimat von tausenden deutschsprachigen Pensionären ist auch nach dem Ende des Protektorats durch den Diktator Franco ein optimaler Unterschlupf geblieben. Denn dort, wo die meisten ausländischen Residenten ohne Meldebescheinigung leben, kann ein mittlerweiler 91-jähriger Mann wie Aribert Heim ohne große Probleme in der Anonymität verschwinden. Auch lässt sich Geld von Deutschland aus viel unauffälliger nach Spanien überweisen, als in ein südamerikanisches Land. Nach „Spiegel"-Recherchen soll Heim jahrelang über seine Schwester mit Miet-einnahmen aus einer Immobilie in Berlin versorgt worden sein.

Im Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem gab man sich auf Anfrage der Rundschau jedoch bedeckt. „Kein Kommentar zu den laufenden Ermittlungen", so Nazi-Jäger Efraim Zuroff, der hinzufügt: „Wir wollen nicht riskieren, dass uns Heim noch ein weiteres Mal durch die Lappen geht." Für 2005 hat Zuroff die „Operation Last Chance" ausgerufen.

Heim, 1,91 Meter groß, Schuhgröße 47 und mit einer v-förmigen Narbe am rechten Mundwinkel gezeichnet, dürfte nicht zu schwer zu identifizieren sein - sollte man meinen. Doch Zuroff winkt ab: „Der Mann wird gedeckt", sagt er. Er hofft nun, Informanten mit einem Kopfgeld von 140.000 Euro zur Preisgabe des Aufenthaltsortes von Heim zu bewegen. 130.000 Euro bietet die Bundesregierung, die restlichen 10.000 Euro steuert das Wiesenthal-Zentrum bei. Auch hofft der promovierte Historiker auf die Unterestützung des spanischen Staates. Dieser könnte zur Aufarbeitung der Vergangenheit wesentlich mehr beitragen, als er es bisher getan habe, so Zuroff.

Licht in die dunkle Geschichte deutsch-spanischer Kooperation brachte vor zwei Jahren der renommierte Journalist der spanischen Tageszeitung „El País", José María Irujo, mit seinem Buch „La lista negra" (Die schwarze Liste). Denn erstmals wurden darin die Karrieren von 104 NS-Verbrechern beleuchtet, deren Namen noch bis in die Amtszeit des sozialistischen Regierungschefs Felipe González hinein von der spanischen Regierung unter Verschluss gehalten worden waren.

Irujo will auch erfahren haben, dass Aribert Heim eine unbestimmte Zeit in Dénia lebte. Bei seinen Recherchen über den SS-Sturmbannführer Gerhard Bremer, der in Hitlers Leibstandarte diente und sich in der Bezirkshauptstadt der Marina Alta zum Baulöwen und Tourismusmaneger aufschwang, soll der Name Aribert Heim in Interviews mit Zeitzeugen gefallen sein. Beweise für Heims Aufenthalt in Dénia habe er allerdings keine, erklärte Irujo im Gespräch mit der Rundschau.

Wenn Heim sich tatsächlich in Dénia aufgehalten hat, dann befand er sich zumindest in „bester" Gesellschaft. Denn auch Dénia galt als Unterschlupf und zugleich als Treffpunkt von zahlreichen NS-Verbrechern. „Hier landeten einige, die den Zugriff der Justiz zu fürchten hatten", heißt es in einem vor sechs Jahren erschienen Bericht der „Süddeutschen Zeitung". Im Stadtteil Las Rotas sei es jährlich zu „Führers" Geburtstag am 20. April zu lautstarken Trinkgelagen gekommen.

Seine letzte Ruhestätte fand in Dénia auch Anton Galler, einstmals Batallionskommandeur der Waffen-SS. Er gilt als Hauptverantwortlicher für ein Massaker an 400 italienischen Zivilbürgern, das sich im Sommer 1944 in dem Bergdorf Sant´ Anna bei Lucca ereignete. Galler, führte bis zu seinem Tod im März 1995 ein Leben als unbescholtener Bürger in einem bescheidenen Häuschen mit kleinen Fenstern, Terrasse und Swimmingpool.

Ein weiterer NS-Flüchtling, der in Dénia oft gesehen wurde, war Otto Skorzeny, Hitlers Mann für Sondereinsätze wie die Mussolini-Befreiung auf dem Gran Sasso. Er verdingte sich nach dem Krieg als Makler und Waffenhändler und soll in Madrid und Dénia auf großem Fuß gelebt haben, ehe er 1975 - im gleichen Jahr wie Franco - in Madrid verstarb.