Dienstag, 27. November 2007

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  "Operation: Letzte Möglichkeit"
Jagd auf Nazi-Vebrecher
Von Jan-Uwe Ronneburger
 
 

Über die sogenannte Ratten-Route sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Nazi-Kriegsverbrecher nach Südamerika gelangt. Fachleute gehen von mindestens 150 Personen aus, die sich allein in Argentinien verstecken konnten. Die bekanntesten Fälle sind der Organisator der Judenvernichtung, Adolf Eichmann, und der berüchtigte Arzt des Vernichtungslagers Auschwitz, Joseph Mengele. 62 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur will das Simon-Wiesenthal-Zentrum in vier Ländern Südamerikas nun möglichst alle noch lebenden Kriegsverbrecher aufspüren. Zunächst in Argentinien, später dann auch in Brasilien, Chile und Uruguay.

Dies werde die Schlussphase im Rahmen der "Operation: Letzte Möglichkeit" sein, sagte Efraim Zuroff, Leiter des nach dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal benannten Zentrums, am Montag in Buenos Aires. "Wir vermuten noch Dutzende, wenn nicht hunderte Nazi-Täter in Südamerika", betonte er. Die Aktion begann 2002 im Baltikum und wurde seither auf Polen, Rumänien, Österreich, Deutschland, Ungarn, Weißrussland und die Ukraine ausgeweitet. Bisher seien die Namen von 488 Verdächtigen in 20 Ländern ermittelt worden. In 99 Fällen seien die Staatsanwaltschaften eingeschaltet worden, und in drei Fällen Haftbefehle ausgestellt sowie zwei Auslieferungsanträge gestellt worden.

Das Ungewöhnliche an der "Operation: Letzte Möglichkeit" sind die Belohnungen, die für Hinweise auf Schergen des Nazi-Regimes ausgesetzt werden. Für Hinweise zu ihrer Festnahme und Bestrafung wurden in Europa bis zu 10.000 Dollar (6600 Euro) ausgelobt. 1000 Dollar gab es bereits für Hinweise, die zu einer offiziellen Untersuchung führten. In Polen zum Beispiel gab es Kritik an dieser Praxis. So warnte Wladyslaw Bartoszewski, der als ehemaliger Widerstandskämpfer in Polen als moralische Autorität gilt, die Kopfgeldprämien könnten Menschen zum Denunziantentum verleiten.

Für Zuroff aber sind Belohnungen ein angemessenes Mittel, um die noch lebenden Täter aufzuspüren. "310.000 Euro haben nun Deutschland, Österreich und wir gemeinsam auf den KZ-Arzt Aribert Heim ausgesetzt", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Er sei der "größte Fisch", den es noch zu fangen gelte. Das Zentrum habe neue Informationen erhalten, dass der als "Dr. Tod" berüchtigte Heim doch in Südamerika leben soll. "Wir könnten ihm näher sein als seit langem", betonte der aus Israel angereiste Zuroff.

Heim steht auf der Liste der weltweit gesuchten Nazi-Verbrecher an erster Stelle. Er soll im Konzentrationslager Mauthausen bei Linz hunderte Insassen durch Spritzen ins Herz oder bei "Operationen" ohne Betäubung getötet haben. Er galt als extrem grausam. Der 1914 geborene Österreicher praktizierte nach dem Krieg in Baden-Baden als Frauenarzt und ist seit 1962 auf der Flucht.

In Osteuropa hatte das Wiesenthal-Zentrum mit dem Widerstand von Gesellschaften zu kämpfen, die sich gern ausschließlich als Opfer der Nazi-Diktatur gesehen hätten, um so ihre Beteiligung an den Verbrechen zu kaschieren, sagte Zuroff. "Wer den Holocaust jedoch nur als Tat der bösen Deutschen und Österreicher darstellt, zeichnet ein unvollständiges Bild", fügte er hinzu. In Argentinien könnte es Widerstand wegen der Verstrickung des bis heute von vielen verehrten Präsidenten Juan Domingo Peron in die Einschleusung von Nazis geben.

Die Nazi-Jäger wissen, dass ihre Chancen nicht gut stehen. Mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Hitler-Regimes sind die verbliebenen Kriegsverbrecher sehr alt, oft gesundheitlich angeschlagen und senil. Zuroff aber hat große Hoffnung, dass die Aktion doch noch überraschende Erfolge bringen werde. "Vielleicht leben Menschen ohne Gewissen ja länger, weil sie sich nicht so plagen müssen", sagte er.

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