26.11.2012, 14.49 Uhr wdr.de
Anklage wegen NS-Kriegsverbrechen: Mutmaßlicher Nazi-Verbrecher unter Mordanklage

Fast 70 Jahre nach der Erschießung eines niederländischen Widerstandskämpfers soll der Mord nun doch noch in Deutschland vor Gericht verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft Dortmund erhob gegen einen 91-jährigen Mann aus Breckerfeld Anklage wegen Mordes vor dem Landgericht Hagen, wie die Justizbehörden am Montag (26.11.2012) mitteilten. In einem Interview mit dem ARD-Politmagazin "Panorama" hatte der Tatverdächtige Siert B. bestritten, geschossen zu haben.

Opfer hinterrücks erschossen

Das Verbrechen ereignete sich im September 1944 im niederländischen Delfzijl (Provinz Groningen). B. soll gemeinsam mit einem Mittäter als Angehöriger einer Polizeieinheit den Widerstandskämpfer erschossen haben. Das spätere Opfer war kurz zuvor festgenommen worden. Der Beschuldigte soll ihn gemeinsam mit seinem Mittäter nachts im Auto auf ein Gelände in der Nähe einer Fabrik gebracht haben. Vier Schüsse wurden auf den Widerstandskämpfer abgegeben, zwei davon - unter anderem in den Hinterkopf - waren tödlich. Wer von den beiden Nazi-Polizisten schoss, ist offenbar unklar. Beide Männer hätten von der Tat gewusst und sie gebilligt.

Der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher aus Breckerfeld hatte im Juli 2012 gegenüber dem ARD-Politikmagazin "Panorama" bestritten, den holländischen Widerstandskämpfer erschossen zu haben. Nicht er habe geschossen, sondern sein Vorgesetzter. Dieser ist mittlerweile gestorben. Der 91-Jährige gab allerdings zu, dass er bei der Tat dabei gewesen ist. Er sei mit seinem Vorgesetzten und dem Gefangenen am späten Abend im Auto vom Posten Delfzijl in Richtung Appingedam gefahren. Unterwegs sei das Auto stehen geblieben und sein Vorgesetzter habe gesagt: "Hier müssen wir hin." Weiter sagte B.: "Dann sind wir ausgestiegen und die Straße entlang gelaufen. Und dann hörte ich auf einmal einen Schuss und habe mich erschrocken. Und der Mann fiel um." Er habe nicht mitbekommen, wie der Vorgesetzte die Waffe gezückt und geschossen hat.

Hinweis von niederländischem Reporter

Das Landgericht Hagen prüft jetzt, ob es ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet. Der 91-Jährige habe zunächst zwei Wochen Gelegenheit, zu den Tatvorwürfen Stellung zu beziehen, sagte eine Gerichtssprecherin. B. war bereits 1980 wegen Beihilfe zum Mord an zwei niederländischen Juden zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Der neue Fall war ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt. Doch die deutsche Justiz unternahm lange nichts.

Ein niederländischer Journalist habe ihn im Februar 2012 auf den Fall in Delfzijl aufmerksam gemacht, sagte der Leiter der NRW-Zentralstelle in Dortmund für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen, Staatsanwalt Andreas Brendel. 1978 waren die Ermittlungen eingestellt worden. Nach einer erneuten Überprüfung der Ereignisse sei man nun zu der Erkenntnis gekommen, dass es sich um eine Tat aus Heimtücke handele und somit um Mord. "Der Mann hat sich bisher über seinen Anwalt nicht zu den Vorwürfen geäußert", sagte Brendel zu WDR.de. Er kenne nur die Aussage aus dem "Panorama"-Interview. Es gebe jedoch einen neuen Zeugen, der wichtige Angaben zur "Auffindesituation" des Opfers machen könne.

Bei der Dortmunder Zentralstelle sind derzeit 13 Verfahren gegen mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher offen. Teilweise kommt es in solchen Fällen nicht mehr zu einer Verurteilung, da die alten Tatverdächtigen nicht mehr verhandlungsfähig sind. Der 91-Jährige aus Breckerfeld habe bisher über seinen Anwalt aber keinen Antrag auf eine medizinische Begutachtung gestellt, sagte Staatsanwalt Brendel.

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