20.08.2012 faz.net
Weiterer KZ-Wachmann soll sich verantworten
Von ALBERT SCHÄFFER

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hat die Vorermittlungen gegen einen weiteren Wachmann eines Konzentrationslagers abgeschlossen. Nach ihren Erkenntnissen war der Beschuldigte im KZ Auschwitz in einer Zeit eingesetzt, in der dort mindestens 344.000 Menschen ermordet wurden. Damit hat er nach Auffassung der Ermittler einen wesentlichen Tatbeitrag zu diesen Morden geleistet. Die Zentralstelle hat das Verfahren nun an die Staatsanwaltschaft Weiden abgegeben; in deren Bezirk hielt sich der Beschuldigte auf, bevor er Deutschland verließ und ins Ausland zog. Er ist 87 Jahre alt und besitzt eine ausländische Staatsbürgerschaft; nähere Angaben zu seiner Person machen die Strafverfolger gegenwärtig nicht.

Die Vorermittlungen der Ludwigsburger Staatsanwälte fußen auf dem Urteil des Landgerichts München II, das im Mai 2011 John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilte. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Demjanjuk als Wachmann im nationalsozialistischen Vernichtungslager Sobibor eingesetzt gewesen sei. Ein Nachweis einzelner Mordtaten musste nach Ansicht der Münchner Richter nicht geführt werden. Sie folgten damit der Rechtsauffassung der Ludwigsburger Ermittler, die argumentieren, in einem Vernichtungslager wie Sobibor habe es nur zwei Gruppen von Menschen gegeben - die Täter und ihre Opfer.

Verurteilung ohne Einzeltatnachweis?

Demjanjuk ist im März dieses Jahres in einem oberbayerischen Pflegeheim, in das er nach dem Urteil gebracht worden war, im Alter von 91 Jahren gestorben. Seine Verurteilung war noch nicht rechtskräftig; über die Revisionsanträge seiner Verteidiger und der Staatsanwaltschaft hatte der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Es liegt damit keine Festlegung durch den Bundesgerichtshof vor, ob er die Münchner Auffassung teilt, dass der Einsatz als Wachmann in einem Lager, dessen alleiniger Zweck die Ermordung von Menschen war, für eine Verurteilung ausreicht, ohne dass eine Beteiligung an einzelnen Mordtaten nachgewiesen werden muss.

Die Ludwigsburger Staatsanwälte haben auch ohne höchstrichterliche Billigung weitere Fälle im Lichte ihrer Rechtsauffassung geprüft; dazu gehört das Verfahren, das nach Weiden abgegeben worden ist. Die Weidener Staatsanwaltschaft, der die Unterlagen am Montag zugegangen sind, muss jetzt entscheiden, ob sie ein förmliches Verfahren einleitet und eine Auslieferung des Beschuldigten nach Deutschland beantragt. Die Ludwigsburger Zentralstelle, die seit 1958 als gemeinschaftliche Einrichtung der Landesjustizverwaltungen an der Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen arbeitet, ist für die Vorermittlungen zuständig, kann aber die Weidener Staatsanwälte im weiteren Verfahren unterstützen.

Freiwillig in der Waffen-SS

Nach den Erkenntnissen der Zentralstelle ist der Beschuldigte 1942 freiwillig in die Waffen-SS eingetreten und wurde dort zum Wachmann ausgebildet. Er sei vermutlich im November 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz versetzt worden. Entscheidend für die Ludwigsburger Strafverfolger ist, dass sie glauben nachweisen zu können, dass der Mann spätestens von April 1944 an in Birkenau eingesetzt war, einem Lagerteil von Auschwitz, dessen Zweck ausschließlich die Ermordung von Menschen war.

Damit sehen die Ludwigsburger Staatsanwälte die Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord als gegeben an. Allein in der Zeit zwischen dem 19. Mai und dem 22. Juli 1944 seien in Birkenau 137 Züge mit mehr als 433.000 Juden aus Ungarn eingetroffen, von denen mindestens 344.000 unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. Der für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord nötige Kausalitätsnachweis sei damit gegeben.

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