09.07.2012 - 17:05 Uhr zeit.de
Justiz ermittelt gegen 91-Jährigen wegen NS-Kriegsverbrechen

Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt gegen einen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher. "Es besteht der Verdacht, dass sich der Beschuldigte der zweifachen Beihilfe zum Mord an 360 Personen schuldig gemacht hat", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Petra Hertwig, der Märkischen Allgemeinen Zeitung. Es wird demnach geprüft, ob der heute 91-Jährige vor 70 Jahren möglicherweise an Erschießungen in der Ukraine beteiligt gewesen war.

Laut Staatsanwaltschaft wurde der Mann bereits vernommen und hat auch ausgesagt. Zu Details wollte sich die Sprecherin aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern. "Wir prüfen, ob es noch andere Ermittlungsansätze gibt", sagte Hertwig. Das könnten etwa weitere Angehörige der Einheit sein, die Zeugen der Verbrechen waren.

Im Oktober und November 1942 sollen insgesamt etwa 360 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ghetto in Shitomir von deutschen Soldaten in einem Wald getötet und in Massengräbern verscharrt worden sein. Die Soldaten sollen zum Kommandostab Reichsführer-SS gehört haben.

Ob es zur Anklage kommt, ist fraglich

Nach Angaben der Zeitung beruhen die Informationen über die Exekutionen in der Ukraine weitgehend auf den Aussagen eines einzigen Zeugen, der 1947 in russischer Kriegsgefangenschaft die Verbrechen geschildert hatte. Er verstarb jedoch bereits im Jahr 1971. 14 Jahre später stellte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden das Verfahren gegen den beschuldigten Leiter des mutmaßlichen Erschießungstrupps ein, weil sie Zweifel am Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen hegte.

Auf die Spur des heute 91-jährigen Mannes aus Cottbus kam demnach die Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen in Ludwigsburg. Auf der Suche nach Zeugen in einem anderen Verfahren seien die Justizmitarbeiter in ihrer Kartei auf den Namen des Mannes gestoßen. Dieser, so belegen es Unterlagen, auf die sich die Märkische Allgemeine Zeitung beruft, war als SS-Sturmmann Angehöriger des Kommandostabs Reichsführer-SS – jener Einheit, die die Juden aus dem Ghetto in Shitomir umgebracht haben soll.

Der stellvertretende Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle, Thomas Will, sagte der Zeitung, es gelte zunächst die Unschuldsvermutung. Selbst wenn nachgewiesen werden könne, dass der Mann zum Tatzeitpunkt Teil der Einheit war, beweise das noch nicht, dass er auch bei den Erschießungen dabei war. Oft müsse zur Kenntnis genommen werden, dass einem Beschuldigten nach so vielen Jahren nichts mehr nachgewiesen werden könne. Pro Jahr würden noch 20 bis 30 Vorermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaften der Länder weitergeleitet. Aber nur in einem Zehntel der Fälle komme es tatsächlich zu einer Anklage.

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