09. Juli 2012, 16:55 Uhr spiegel.de
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mutmaßlichen NSKriegsverbrecher

Mehr als 300 Juden aus einem Ghetto im ukrainischen Shitomir sollen Ende 1942 von einer
SS-Einheit erschossen worden sein. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Cottbus gegen
einen 91-Jährigen, der damals beteiligt gewesen sein könnte.
Hamburg - "Es besteht der Verdacht, dass sich der Beschuldigte der zweifachen Beihilfe zum Mord an 360 Personen schuldig gemacht hat", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Cottbus, Petra Hertwig, der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" ("MAZ"). Es wird demnach geprüft, ob ein heute 91-Jähriger 1942 an Erschießungen in der Ukraine beteiligt war.

Laut Staatsanwaltschaft wurde der Mann bereits vernommen und hat auch ausgesagt. Zu Details wollte sich die Sprecherin aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern.
Bei zwei Erschießungen im Oktober und November 1942 sollen rund 360 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Ghetto in Shitomir von deutschen Soldaten getötet und in Massengräbern verscharrt worden sein. Die Soldaten sollen zum Kommandostab Reichsführer-SS gehört haben.
Dem Bericht zufolge beruht das Wissen über die Exekutionen in der Ukraine weitgehend auf den Aussagen eines Zeugen, der die Verbrechen 1947 in russischer Kriegsgefangenschaft geschildert hatte und 1971 ums Leben kam. 1985 stellte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden das Verfahren gegen den beschuldigten Chef des mutmaßlichen Erschießungstrupps ein, weil sie Zweifel am Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen hegte.

Ausgangspunkt für die neuen Ermittlungen ist dem Bericht zufolge die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Auf der Suche nach Zeugen in einem anderen Verfahren seien die Ludwigsburger Justizmitarbeiter auf den Namen des Mannes gestoßen.
Der heute 91-Jährige war laut "MAZ" als SS-Sturmmann Angehöriger des Kommandostabs Reichsführer-SS - jener Einheit, die die Juden aus dem Ghetto in Shitomir umgebracht haben soll.
Es gelte zunächst die Unschuldsvermutung, sagte der stellvertretende Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle, Thomas Will. Selbst wenn nachgewiesen werden könne, dass der Mann zum Tatzeitpunkt Teil der Einheit war, beweise das noch nicht, dass er auch bei den Erschießungen dabei war. Oft müsse zur Kenntnis genommen werden, dass einem Beschuldigten nach so vielen Jahren nichts mehr nachgewiesen werden könne. 20 bis 30 Vorermittlungsverfahren würden pro Jahr noch an die Staatsanwaltschaften der Länder weitergeleitet. Aber nur in jedem zehnten Fall kommt es demnach tatsächlich zu einer Anklage.

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