27.04.12 welt.de
Holländer fühlen sich von Gauck-Besuch beleidigt
Von Rob Savelberg

Seit Jahren streiten die Niederlande und Deutschland über das Schicksal eines Nazi-Verbrechers. Der geplante Besuch des Bundespräsidenten am Befreiungstag wird als Affront empfunden.

Nächste Woche wird Joachim Gauck in die Niederlande reisen, um als erstes ausländisches Staatsoberhaupt am 5. Mai, dem Tag als das Königreich von den Nazis befreit wurde, eine Rede zu halten. Aber nicht jeder freut sich über den Besuch. "Das Gedenken sollte eine rein niederländische Angelegenheit sein. Dazu gehört niemand anderes, und schon gar kein Deutscher", fordert Mirjam Ohringer aus Amsterdam.

Die Jüdin, Jahrgang 1924, war im Zweiten Weltkrieg im Widerstand aktiv. Ihre Jugendliebe wurde verhaftet und starb im Konzentrationslager Mauthausen. Ohringer überlebte im Untergrund und kämpft heute gegen das Vergessen. Sie ist nicht die einzige Niederländerin, die Gaucks Auftritt kritisiert.

Pieter Dietz de Loos ist Chef des Internationalen Dachau-Komitees, sein Vater überlebte jenes KZ in Bayern. Wenn es nach ihm ginge, dann dürfte Gauck nur kommen, wenn er den Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber mitbringt: "Wie kann Gauck über Versöhnung mit den Niederlanden sprechen und andererseits nichts tun, damit Faber an Holland ausgeliefert wird?", fragt der Anwalt aus Wassenaar. "Das ist eine Schande."

SS-Mann ermordete 22 Niederländer

Seit Jahren streiten die Bundesrepublik und Holland über das Schicksal des 90-Jährigen aus Haarlem, der als Mitglied der Waffen-SS wegen der Ermordung von 22 Niederländern in den 40er-Jahren erst zum Tod und später zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

1952 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis in Breda. Ausgerechnet diese Stadt im Süden des Nachbarlandes wird Gauck am nächsten Samstag besuchen. Der Widerstand dagegen wächst jedoch.

Der Publizist Arthur de Graaff hat die viel beachtete Kampagne "Gauck nein, Faber ja" gestartet. "Gauck soll zu Hause bleiben", sagt der Aktivist "Welt Online". "Deutschland hat holländische Kriegsverbrecher nie ausgeliefert. Nur weil Hitler ausländische Kämpfer der Waffen-SS mit dem so genannten Führer-Erlass aus 1943 zu Deutschen machte."

"Deutschland schützt diese Leute"

Faber floh damals nach Deutschland, wo er für Audi in Ingolstadt arbeitete. Die Tötung der niederländischen Widerstandskämpfer verschwieg er dort ebenso wie seine Vergangenheit als KZ-Aufseher im Lager Westerbork, wo er Gefangene überwachte und tötete. Die Bundesrepublik hat sich 60 Jahre lang wenig um Faber gekümmert.

"Ein unglaublicher Skandal", sagt dazu Efraim Zuroff, der Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem. "Deutschland schützt diese Leute lieber als dass man sie in den Knast steckt."

Seiner Meinung nach hätte man Faber längst nach Holland schicken können oder ihm in Deutschland einen neuen Prozess machen können. Das Verhalten der Deutschen mache ihn wütend, sagt der Historiker. Obwohl er das föderale deutsche Justizsystem natürlich verstehe.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich offen für die Forderungen des niederländischen Parlaments in Sachen Faber gezeigt. Aber das Bundesministerium könne nicht in Länderkompetenzen einmischen, heißt es dort.

Opferfamilien "mehr als 50 Jahre beleidigt"

Doch Zuroff scheint es, als verstecke sich die Bundesrepublik hinter dem Führer-Erlass: "Es ist unglaublich, dass die Familien der Opfer von Faber mehr als ein halbes Jahrhundert lang so beleidigt wurden." Dass Gauck ausgerechnet am Befreiungstag nach Holland komme, sei das falsche Signal, meint Zuroff.

"Ich habe die Opferfamilien im Westerbork gesprochen. Sie erwarten, dass endlich etwas passiert. Wenn Gauck so tut, als wäre nichts los, wäre das fatal. Der Bundespräsident ist ein Symbol des moralischen Gewissens der Nation", so der Autor des Buches "Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des Nazijägers".

Das weltweit tätige Simon-Wiesenthal-Zentrum hat Faber zwischenzeitlich auf Platz eins der meist gesuchten Kriegsverbrecher gestellt. Inzwischen scheint die Sache sich zu bewegen. Anfang Januar hat die Staatsanwaltschaft Ingolstadt um Übernahme der Vollstreckung des niederländischen Urteils von 1947 gebeten.

Zuständig ist jetzt das Landgericht in der bayerischen Stadt. Die zuständigen Richter hatten sich nach einem niederländischen Gesuch von 2004 noch gewehrt und damals nicht ermittelt.

Israelischer Botschafter lehnt Visite ab

So wird in Holland viel über den Besuch von Gauck geredet. Der israelischen Botschafter hat sich schon gegen die Visite ausgesprochen. Es gibt aber auch Befürworter, so wie Ronny Naftaniel, der Direktor des Haager Informationszentrums über Israel: "Eigentlich sollte schon Gaucks Vorgänger Christian Wulff kommen. Es war also ein lang geplanter Besuch", sagt Naftaniel.

"Man wollte zeigen, dass der deutsche Präsident am Befreiungstag willkommen ist. Wenn er dazu etwas Sinnvolles aus seinen Erfahrungen mit zwei deutschen Diktaturen sagen kann, bekommt der Tag auch mehr Inhalt."

Naftaniel hat viel Gutes über Deutschland zu sagen: "Das Land ist ein Rechtstaat, hat viel für den bewussten Umgang mit der Vergangenheit getan. Man sollte Gauck nicht verantwortlich für Fabers Auslieferung machen, die wir natürlich auch befürworten." Das Bundespräsidialamt nahm zu dem Fall auf Nachfrage bisher keine Stellung.

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