05. April 2012, 10:16 Uhr spiegel.de
Staeck verteidigt Grass

"Man muss ein klares Wort sagen können": Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, hat Günter Grass in Schutz genommen. Es dürfe keine "reflexhafte Verurteilung" geben. Negativ bewerten dagegen viele Politiker und Zeitungen die Israel-Schelte des Schriftstellers.

Berlin - Das israelkritische Gedicht von Literaturnobelpreisträger Günter Grass sorgt weiter für hitzige Debatten. Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, nahm Grass gegen Kritik in Schutz. "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte Staeck der "Mitteldeutschen Zeitung".

"Die reflexhaften Verurteilungen als Antisemit" halte er nicht für angemessen. Grass habe das Recht auf Meinungsfreiheit und nur seiner Sorge Ausdruck verliehen. Diese Befürchtung teile er mit vielen anderen Menschen.

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, warf Grass dagegen einseitige Kritik vor. Grass sei sicher kein Antisemit, aber in seinem Text gehe die Gefahr ausschließlich von Israel aus, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die Gefahren, denen sich der jüdische Staat gegenübersehe, würden hingegen verschwiegen und der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad verharmlost.

In einem am Mittwoch von der "Süddeutschen Zeitung" und anderen internationalen Blättern veröffentlichten Gedicht hatte der 84-jährige Autor geschrieben, dass die Atommacht Israel durch den Streit mit Iran den ohnehin brüchigen Weltfrieden gefährde.

Die ersten Reaktionen auf das Gedicht mit dem Titel "Was gesagt werden muss" waren, auch in Israel, heftig. Scharfe Kritik an Grass äußert Efraim Zuroff, Direktor des israelischen Simon Wiesenthal Zentrums, in der "Jerusalem Post": Der Angriff zeige die Transformation, die der deutsche Antisemitismus in den vergangenen Jahren durchlaufen habe: "Während Angriffe auf einzelne Juden in der Bundesrepublik politisch inkorrekt und allgemein inakzeptabel geworden sind, ist Israel der Prügelknabe für antisemitische Deutsche geworden, die den Holocaust leid sind und die Verantwortung dafür los werden wollen."

Der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte den Text "ein aggressives Pamphlet der Agitation". Die israelische Botschaft in Deutschland warf Grass vor, er bediene antisemitische Klischees. "Was gesagt werden muss, ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen", erklärte der Gesandte Emmanuel Nahshon.

Negativ bewerten auch viele deutsche Tageszeitungen vom Donnerstag die Äußerungen des Schriftstellers.

Die "Financial Times Deutschland" kritisiert, dass Grass kein Wort zur Bedrohung Israels durch den Iran findet, dessen Präsident den Holocaust und damit die Ermordung von sechs Millionen Juden leugnet. Für Grass sei Mahmud Ahmadinedschad nur ein "Maulheld", "der markige Sprüche klopft und dann wohl harmlos sein soll". In jedem Fall sei die einseitige Parteinahme von Grass falsch.

"Günter Grass wird zu Recht wegen seines Textes angegriffen", schreibt die "Westdeutsche Zeitung". Es gehe nicht darum, dass ein Deutscher nicht Israel kritisieren dürfte, sondern um seine klischeehafte und faktisch teilweise falsche Darstellung. "Er hat sich, Deutschland und Israel geschadet."

Die "Leipziger Volkszeitung" fragt, ob Grass ein Antisemit sei. "Nein, das ist Günter Grass nicht", resümiert das Blatt. Die "Sächsische Zeitung" aus Dresden meint, "es ist durchaus das Vorrecht von Schriftstellern und Künstlern, aus dem üblichen politischen Diskurs auszubrechen und Dinge zuzuspitzen". Diesmal habe sich Grass aber verrannt.

Der "Tagesspiegel" aus Berlin schreibt: "Zu fürchten ist, zu befürchten auch, dass sich hier einer um den Ruhm schreibt, wenigstens um den Ruf, dass er was zu sagen hätte. Weil er die Weisheit des Alters hätte. Oder weil er eine moralische Instanz wäre. So ist es nicht. Seine Worte sind ein Schlag gegen moralische Integrität."

Bislang eher gedämpft sind die Reaktionen aus der deutschen Spitzenpolitik. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, es gebe eine Freiheit der Kunst und eine Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder Äußerung äußern zu müssen. Ohne Grass namentlich zu nennen, erklärte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), die Gefahren des iranischen Atomprogramms zu verharmlosen, hieße, den Ernst der Lage zu verkennen.

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