01.02.2012, 15:10 focus.de
SS-Verbrecher Heinrich Boere zerrt niederländische Journalisten vor Gericht
Margarete van Ackeren

Jelle Visser ist wild entschlossen. Stolz und Trotz klingen aus seiner Stimme: „Dass wir eine hohe Geldstrafe zahlen, kommt nicht in Frage – dann gehen wir eben lieber ins Gefängnis.“ Es klingt wie: Sollen doch alle sehen, bei welchen Vergehen die deutsche Justiz spurt – und bei welchen Verbrechen nicht.

Der niederländische Fernsehjournalist und sein Kollege Jan Ponsen müssen am 9. Februar in Eschweiler bei Aachen vor Gericht erscheinen. Die Reporter des Magazins „Een vandaag“ haben vor anderthalb Jahren den greisen SS-Verbrecher Heinrich Boere in einem Altenheim bei Aachen besucht und die Begegnung mit versteckter Kamera gefilmt. Nach deutschem Recht ist das verboten.

Eine Wutwelle rund um den Globus
Damit aber haben die beiden Niederländer ein dickes Problem. Ihre Sicht: Jahrzehntelang schafften die deutschen Strafverfolger es nicht, einen Menschen verachtenden Kriegsverbrecher hinter Gitter zu bringen. Aber wenn Journalisten Regeln brechen, werden sie eilig vor den Richter gezerrt. Wenige Tage vor Prozessbeginn geht eine Wutwelle um den Globus. Nicht nur in Hilversum und Amsterdam, sondern auch in Jerusalem provoziert das Verfahren heftige Reaktionen.

Die Vorgeschichte geht zurück bis in die sensibelste Phase der deutsch-niederländischen Geschichte: Der Mann, der heute aussieht wie ein geselliger Opa, hat 1944, während der Besetzung des kleinen Königreichs, drei Zivilisten heimtückisch ermordet. Heinrich Boere war sowohl Mitglied der Waffen-SS als auch Mitglied der nationalsozialistischen Bewegung der Niederlande (NSB) und ihres militanten Arms, der „Landwacht“. Die verübte im Schulterschluss mit dem deutschen Sicherheitsdienst (SD) Vergeltungsaktionen für Anschläge, die einheimische Widerstandskämpfer gegen die Besatzer verübt hatten. Deckname: „Silbertanne“.

1949 in Amsterdam zum Tode verurteilt
Boere wurde 1949 in Amsterdam zum Tode verurteilt. Später wurde das Strafmaß umgewandelt in „lebenslang“. Er aber entkam, konnte nach Deutschland fliehen, wo er jahrelang unerkannt lebte. Erst Ende 2010, mehr als 66 Jahre nach der grauenhaften Tat, hat der Bundesgerichtshof die Höchststrafe bestätigt – lebenslang für einen Greis. Vor wenigen Wochen dann kam er schließlich hinter Gitter. Boere sei auf der Krankenstation einer Justizvollzugsanstalt in Nordrhein-Westfalen, teilte die Staatsanwaltschaft in Aachen mit.
Die Journalisten aus Hilversum hatten zwischenzeitlich die Sache selbst in die Hand genommen und waren nach Deutschland gereist, um ihn nach seinen Motiven zu befragen. Die Bilder, die sie heimlich aufnahmen, zeigen einen gebrechlichen alten Mann, der vor der Kulisse von ein paar verkümmerten Schnittblumen etwas faselt von „Befehl ist Befehl“ und „Blödsinn“. Als der alte SS-Mann die Kamera bemerkt, wirft er die Besucher raus und lässt Anzeige erstatten. Auch FOCUS hatte den greisen Mann im Altenheim besucht, im Jahr 2009 – allerdings ohne TV-Kamera. Boere hatte sich redselig gezeigt.

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