December 15, 2011 Suddeutscher Zeitung
Den letzten NS-Verbrechern auf der Spur
Das Simon-Wiesenthal-Center setzt eine Belohnung auf die Ergreifung hochbetagter deutscher Täter aus
Von Malte Conradi und Ronen Steinke

Berlin/München – Efraim Zuroff ist kein Mann, der zu überzogenem Optimismus neigt, dafür ist der 63-jährige Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem schon zu oft frustriert worden. Einen „Nazijäger“ haben sie ihn in Europa oft genannt. Dabei waren es oft gar nicht die einstigen NS-Täter, welche Zuroff und seine Mitarbeiter mühsam in der Menge suchen mussten – sondern vielmehr die wenigen staatlichen Ankläger, die noch zu einem Prozess gegen inzwischen hochbetagte Männer bereit waren. Dass Efraim Zuroff sich am Mittwoch vor Journalisten in Berlin derart guter Laune zeigte, ist da schon für sich genommen bemerkenswert: Der „Nazijäger“ sprach von einer neuen Chance.
Das Wiesenthal-Center will ein letztes Mal Geld in die Hand nehmen, um Hinweise auf noch unbehelligt lebende NS-Täter in Deutschland und Österreich einzuwerben. Die Kampagne trägt den Titel „Operation Last Chance 2“ – Teil 1 war seit 2005 in ganz Europa gelaufen. Bis zu 25 000 Euro zahlt die Nichtregierungsorganisation künftig noch einmal für Hinweise, die zu einer Anklage wegen eines NS-Verbrechens führen; eine Hotline (01573/4947 307) ist geschaltet.
Von letzten Chancen ist freilich schon seit geraumer Zeit die Rede. Kaum ein Mensch, der alt genug war, im NS-Regime Befehle zu erteilen, dürfte heute jünger als 90 sein. Schon im Jahr 2004 deutete der Bundesgerichtshof ein Ende der strafrechtlichen Aufarbeitung in Deutschland an, indem er den Prozess gegen den ehemaligen SS-Sturmbannführer Friedrich Engel unter Verweis auf sein fortgeschrittenes Alter einstellte. Als zwei Jahre später die Ludwigsburger Zentrale Stelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen ihr 50-jähriges Bestehen feierte, sagte der Leiter dieser Behörde, Kurt Schrimm, dem Spiege l: „Rechtskräftige Verurteilungen sind nun kaum mehr zu erwarten.“ Selbst Efraim Zuroff, der Mahner, der die deutschen Ermittler so gern zu mehr Biss angetrieben hätte und sie mit gut platzierter Kritik immerhin regelmäßig reizen konnte, zog damals bereits vorsichtig Bilanz.
Wie anders ist nun, drei Jahre später, die Lage: Seitdem im November 2009 der staatenlose Ukrainer John Demjanjuk, damals 89-jährig, in einen Saal des Münchner Landgerichts gerollt wurde, ist noch einmal eine ganze Reihe neuer Verfahren gegen NS-Verdächtige in Gang gekommen. In München wurde ein 91-Jähriger wegen Mordes verurteilt, in Aachen ein 89-Jähriger. Erst in der vergangenen Woche durchsuchten Dortmunder Ermittler die Wohnungen von sechs ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die sich vor 67 Jahren an dem Massaker im französischen Oradour-sur-Glane beteiligt haben sollen.
Besonders das Demjanjuk-Urteil macht aus Zuroffs Sicht neue Hoffnung:
Die Münchner Richter hatten sich nicht davon beirren lassen, dass sich eine konkrete Tat des Angeklagten nicht beweisen ließ. Sie begnügten sich mit dem Wissen, dass in Sobibor, einem reinen Vernichtungslager, jeder Aufseher am Morden beteiligt war. Das Urteil ist noch nicht vom Bundesgerichtshof bestätigt, der dahinterstehende Gedanke lässt sich aber grundsätzlich auf alle Vernichtungslager übertragen, auf Treblinka oder Auschwitz-Birkenau, und ebenso auf mobile Mordkommandos. Efraim Zuroff machte in Berlin eine grobe Rechnung auf: Von den etwa 4000 Tätern in Vernichtungslagern und Einsatzgruppen seien noch etwa 80 am Leben. Wenn davon nur die Hälfte gesund genug für einen Prozess sei, könnten nun 40 neue Verfahren beginnen.