München
(dpa) - In einem der letzten großen NS-Verbrecherprozesse
ist der frühere KZ-Wachmann John Demjanjuk wegen Beteiligung
am Holocaust zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.
Das Münchner Landgericht sprach den 91-Jährigen am Donnerstag der Beihilfe zum
Mord an mindestens
28 060 Juden im
Jahr 1943 im Vernichtungslager
Sobibor schuldig.
Trotz seiner Verurteilung
verließ der gebürtige
Ukrainer das Gericht
als vorläufig freier
Mann: Wegen der
zwei Jahre Untersuchungshaft
und «aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit»
hob das Landgericht
München II den
Haftbefehl auf.
Die
Verteidigung hatte
Freispruch verlangt
und kündigte Revision
an. Die Staatsanwaltschaft
plädierte auf sechs
Jahre Haft.
Das
Gericht war überzeugt,
dass der Angeklagte
von März bis September
1943 zu den «Trawniki»
in Sobibor gehörte
- das waren «fremdvölkische
Hilfswillige»,
wie sie bei den
Nazis hießen. Er
sei dabei gewesen,
als insgesamt 16
Transporte mit
Juden in dem Lager
ankamen und die
Menschen systematisch
und auf grausame
Weise in den Gaskammern
umgebracht wurden.
Besonders schwerwiegend
wertete das Gericht
den sogenannten
Kindertransport,
bei dem im Juni
1943 rund 3000
Menschen getötet
wurden - 1000 davon
Kinder unter 14
Jahren.
«Wie
alle Trawniki-Männer
wusste er, was
im Lager geschah,
und zwar vom ersten
ihm vorgeworfenen
Transport an»,
sagte der Vorsitzende
Richter Ralph Alt.
Der Feuerschein
der Krematorien
sei überall zu
sehen gewesen,
der Geruch verbrannten
Fleisches habe
in der ganzen Region
in der Luft gehangen.
«Der Angeklagte
war Teil dieser
Vernichtungsmaschinerie.»
Die Juden seien
aus Rassenhass
grausam ermordet
worden. Die «Trawniki»
hätten die Möglichkeit
zur Flucht gehabt,
um sich diesem
Morden zu entziehen.
Demjanjuk habe
diese Chance aber
nicht genutzt.
Während
einigen Nebenklägern
bei der Verlesung
der Transporte
und der Namen ihrer
getöteten Angehörigen
die Tränen in den
Augen standen,
nahm Demjanjuk
das Urteil am 93.
Verhandlungstag
ohne sichtbare
Regung auf. Der
91-Jährige, der
das Verfahren auf
einem Rollbett
neben der Richterbank
mit Sonnenbrille
über den Augen
verfolgte, hat
in dem fast eineinhalbjährigen
Prozess geschwiegen.
Er war als Staatenloser
vor zwei Jahren
aus den USA nach
München abgeschoben
worden und saß
seitdem dort in
Untersuchungshaft.
Zwar
konnte Demjanjuk
keine konkrete
Tat zugeschrieben
werden. Das Gericht
schloss sich jedoch
der Argumentation
der Anklage an:
Da Sobibor allein
der planmäßigen
Ermordung von Menschen
diente, habe sich
jeder mitschuldig
gemacht, der dort
Dienst tat. Die
Aufhebung des Haftbefehls
begründete Richter
Alt damit, dass
Demjanjuk nach
der Aberkennung
der US-Staatsbürgerschaft
staatenlos sei.
Es bestehe deshalb
keine Fluchtgefahr
mehr.
Sollte
das Urteil in der
nächsten Instanz
bestätigt und damit
rechtskräftig werden,
müsste über die
Haftfrage neu entschieden
werden. Möglicherweise
käme Demjanjuk
dann doch wieder
hinter Gitter,
sofern er noch
haftfähig wäre.
Allerdings müsste
auf die Haftstrafe
die Dauer der Untersuchungshaft
angerechnet werden.
Der 91-Jährige
ließ sich für die
Nacht zum Freitag
noch einmal in
das Untersuchungsgefängnis
zurückbringen.
Danach müssen die
Behörden für ihn
möglicherweise
ein Altenheim suchen.
Die
Staatsanwaltschaft
zeigte sich mit
dem Schuldspruch
zufrieden. «Fast
70 Jahre nach der
Tat ist es gelungen,
die Schuld des
Angeklagten festzustellen»,
sagte Staatsanwalt
Hans-Joachim Lutz.
Demjanjuks Anwalt
Ulrich Busch sagte,
das Gericht habe
sich über alles
hinweggesetzt,
was die Beweisaufnahme
erbracht habe.
Er habe bereits
Revision eingelegt.
Er sei aber zufrieden
über die Aufhebung
des Haftbefehls.
Diese
stieß in Israel
nach anfänglicher
Zustimmung zum
Urteil auf scharfe
Kritik: «Er gehört
ins Gefängnis»,
sagte der Leiter
des Wiesenthal-Zentrums
in Jerusalem, Efraim
Zuroff. Das sei
eine ganz fürchterliche
Entscheidung. «Sein
Alter hätte nicht
berücksichtigt
werden dürfen.»
Demjanjuk sei wegen
der Beteiligung
an der Ermordung
von knapp 30 000
Juden verurteilt
worden. «Ist es
da angemessen,
ihn freizulassen,
so dass er die
Gastfreundschaft
der ukrainischen
Gemeinde in Deutschland
genießen kann?»
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