23.02.2011 zeit.de
Wirbel um einen Nazi-Jäger

Mark Gould gab sich als Neonazi aus und dokumentierte Gespräche mit dem 97-jährigen ehemaligen SS-Offizier Bernhard Frank auf Video. Aber was hat er wirklich enthüllt?

"Jude tarnt sich als Neonazi und überführt SS-Mörder", schreibt die Bild-Zeitung. Doch der 43-jährige Kalifornier Mark Gould ist kein Jude; er hat das auch nie behauptet. Und der "SS-Mörder" Bernhard Frank, den er "überführt" haben will, lebt seit Kriegsende unter seinem richtigen Namen im Raum Frankfurt am Main, hat mehrere Bücher über seine Zeit als SS-Offizier verfasst und trat als Zeitzeuge im Fernsehen auf. Mit Kriegsverbrechen wurde er bisher nie in Verbindung gebracht und muss sich zumindest vorerst auch nicht als Mörder bezeichnen lassen.

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Jetzt allerdings ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen den 97-jährigen Frank wegen Mordverdachts. Dabei geht es vor allem um einen Befehl vom 28. Juli 1941 im Zusammenhang mit dem deutschen Angriff auf Russland, der laut Gould die Unterschrift Franks trägt. "Ist die Bevölkerung rassisch oder menschlich minderwertig, (...) so sind alle zu erschießen", lautete die Anweisung an die in Weißrussland und in der Ukraine kämpfenden deutschen Truppen, zitiert Bild.

Gould gab sich nach eigener Darstellung vier Jahre lang als Neonazi-Sympathisant aus, um das Vertrauen Franks zu erlangen. Er dokumentierte etliche Gespräche mit dem 97-jährigen auf Video, zum Teil auf Deutsch, zum Teil auf Englisch. Mit letzterem tut sich Frank sichtlich schwer. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer spricht unter anderem über sein nach eigenen Angaben enges Verhältnis zum Reichsführer der SS Heinrich Himmler.

Bild stilisiert Frank auf der Basis von Goulds Recherchen zu einer in all den 66 Jahren seit Kriegsende völlig übersehenen Schlüsselfigur der NS-Geschichte. Der "von Frank unterschriebene Sonderbefehl" sei die erste bekannte schriftliche Anweisung, die aus der rassistischen und antisemitischen Ideologie der NSDAP die Konsequenz der systematischen physischen Vernichtung ziehe. Dass es diese Massaker gab, obwohl erst am 20. Januar 1942 auf der Wannseekonferenz die Organisation des Holocaust im Detail festgeklopft wurde, ist aber längst bekannt.

Den Befehl hält Gould nur kurz in Form einer schlechten Kopie in die Kamera. Später taucht noch einmal die letzte Seite des Befehls auf, auf dem die Unterschrift von Frank zu sehen ist – mit dem Zusatz "f. d. R.", für die Richtigkeit. Rechts darüber steht in Schreibmaschinenschrift "gez. H. Himmler". Frank sagt dazu, "das ist ein Himmler-Befehl, den ich bestätigt ... den ich nur bestätigt habe."

Gould dokumentiert online zwei andere Dokumente mit Franks Unterschrift. Eines davon ist ein Bericht zum Abschluss der Aktion Pripjetsümpfe, der das "Gesamtergebnis" mit 10.412 angibt; gemeint sind offenbar in den weißrussischen Sümpfen getötete Zivilisten, meist Juden. Unterzeichner ist ein "HSSUPF" (Höherer SS- und Polizeführer Witte). Frank quittiert als einer der Adressaten mit seiner Signatur den Eingang des Fernschreibens.

Ein anderes von Gould online gestelltes Dokument ist ein Antrag auf ein Kommando der Waffen-SS zur Erschießung von "800 Zivilgefangenen". Gould legt im Internet nahe, Frank, der auch hier mit "f. d. R." das Schreiben abzeichnet, habe dieses Erschießungskommando genehmigt. Doch es ist fraglich, ob Frank, der zur Zeit der Befehle noch den Rang des Hauptsturmführers trug, überhaupt dazu befugt gewesen wäre.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat ihre Ermittlungen eingeleitet auf der Basis von Unterlagen, die anonym im Dezember bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg eingegangen waren. Ob Gould der anonyme Einsender des belastenden Materials ist, ist unbekannt. Von dort ging das Material – eine Festplatte und fünf CD-Roms mit Daten, also weit mehr, als Gould im Internet veröffentlichte – umgehend an die zuständige Staatsanwaltschaft.

Die Enthüllungsstory von Mark Gould sorgte im Dezember in israelischen, britischen und US-Medien schon einmal für Wirbel. Das scheint im Interesse des 43-jährigen Kaliforniers zu liegen, den Bild als "Historiker" bezeichnet, die New York Times als "College-Dropout". Gould habe sein mit Börsenspekulationen erworbenes Vermögen zum Teil für das Sammeln von NS-Memorabilia ausgegeben und sei so auf die Spur Franks gestoßen, der als letzter Befehlshaber von Adolf Hitlers Alpenresidenz auf dem Obersalzberg den Luftwaffen-Chef Göring auf Befehl des Führers unter Hausarrest stellte.

Die New York Times unterstellt Gould, er habe es auf die Öffentlichkeit abgesehen, wolle ein Buch schreiben und die Filmrechte an seiner Story verkaufen. Auch Efraim Zuroff vom Wiesenthal-Center in Jerusalem, ein erprobter Nazi-Jäger, zweifelte im britischen Guardian an den Motiven des "Enthüllers".

Gould hat zusammen mit jüdischen Angehörigen seines Stiefvaters in den USA eine Zivilklage gegen Frank erhoben, um Schadenersatz für das Leid zu erhalten, das deren Vorfahren zugefügt wurde. In Deutschland hat er nicht Anzeige erstattet.

Die Ermittler des Landeskriminalamtes Wiesbaden wollen nun zunächst in Militärarchiven prüfen, wo Frank sich zu welcher Zeit des Krieges befand, wie Möller-Scheu sagt. Das werde einige Wochen in Anspruch nehmen. Erst dann will die Behörde Kontakt zu Bernhard Frank aufnehmen.

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