22.12.2010 zeit.de
Israel und die Niederlande machen Druck im Fall Faber

An Weihnachten 1952 flüchten sieben verurteilte NS-Kriegsverbrecher aus einem Gefängnis in Holland. Einer von ihnen lebt bis heute in Freiheit in Ingolstadt.

Am 26. Dezember 1952 begann ein dunkles Kapitel bundesdeutscher Rechtsgeschichte, das Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gern zum Abschluss bringen möchte. Zuständig sind jedoch die Behörden in Bayern – und die sehen die Chancen skeptisch, den in den Niederlanden verurteilten NS-Kriegsverbrecher Klaas Faber der Gerechtigkeit zuzuführen.

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Der gebürtige Niederländer Klaas Carel (oder Carl) Faber wurde 1944 von einem Sondergericht zum Tode verurteilt, wegen der Erschießung von mehr als 20 meist jüdischen Gefangenen, unter anderem im KZ Westerbork, wo auch Anne Frank zeitweise saß. 1948 wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt. Faber saß in De Koepel ein, dem Gefängnis von Breda. Als am 26. Dezember 1952 zur Feier des Weihnachstages ein Film gezeigt wurde, nutzten er und sechs weitere NS-Kollaborateure die Gelegenheit zur Flucht nach Deutschland.

Eine Strafe wegen illegalen Grenzübertritts bezahlte ein Gerichtsdiener für die "Kameraden", eine Auslieferung lehnte die Bundesrepublik ab. Der Bundesgerichtshof erklärte die Geflohenen zu Deutschen, die laut Grundgesetz nicht ausgeliefert werden dürfen. Die Rechtsgrundlage ist ein Erlass Adolf Hitlers von 1943, demzufolge Mitglieder der Waffen-SS automatisch ihre alte Staatsangehörigkeit verlieren und die deutsche erhalten. Eigene Ermittlungsverfahren stellten die deutschen Behörden bald ein.

Heute lebt von den "Sieben von Breda" nur noch Faber, 88 Jahre alt, wohnhaft in Ingolstadt. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat mit den niederländischen Behörden telefoniert, um über Wege zu sprechen, wie er doch noch bestraft werden kann. Ende November erließen die Niederländer einen europäischen Haftbefehl. Darin wird Faber als "staatenlos" bezeichnet, um das Auslieferungsverbot zu umgehen. Nun prüfen die bayerischen Behörden, ob er wirklich staatenlos ist.

Im Münchener Justizministerium will man der Prüfung nicht vorgreifen, ist aber skeptisch. Schon das Oberlandesgericht Düsseldorf habe ja 1954 die Auslieferung für unzulässig erklärt, "da Faber Deutscher sei". Faber könnte nur mit seiner Zustimmung zur Strafvollstreckung ausgeliefert werden. Die wird er kaum geben.

Die Niederlande haben angekündigt, die Vollstreckung der Strafe in Deutschland zu beantragen, sollte der Haftbefehl abgelehnt werden. Einen solchen Antrag hatte das Landgericht Ingolstadt aber schon 2004 abgewiesen. Die Vollstreckung würde, so das Gericht unter Hinweis auf die eingestellten deutschen Ermittlungen, gegen den Grundsatz verstoßen, dass niemand zweimal wegen der gleichen Tat verfolgt werden darf.

Bliebe noch ein neues deutsches Ermittlungsverfahren. Eine Wiederaufnahme sei "prinzipiell möglich", so das bayerische Justizministerium. Dafür müssten sich neue Tatsachen ergeben, die in früheren Verfahren nicht gewürdigt wurden. In den fünfziger Jahren hielt die niederländische Regierung die deutschen Behörden für durchsetzt von alten Nazis und weigerte sich, die Ermittlungen zu unterstützen. Der deutschen Staatsanwaltschaft fehlten Akten.

Gute Chancen also für eine Neuaufnahme, sollte man meinen. Doch die Staatsanwaltschaft München I hatte bereits 2006 neu ermittelt, "ohne dass sich ein hinreichender Tatverdacht für noch verfolgbare Straftaten ergeben" habe, wie das Ministerium wissen lässt. Die Staatsanwälte hielten die Kriegsverbrechen Fabers nicht für Mord, sondern allenfalls für Totschlag oder Beihilfe zum Mord. Beides wäre verjährt.

Israelische Medien berichten mit Unverständnis über die mangelnden Fortschritte in der Causa Faber. 150 Jerusalemer Anwälte forderten in einer Petition Israels Justizminister Jaakov Neeman auf, in Berlin zu intervenieren, was der Minister nach Angaben eines Sprechers per Brief an Leutheusser-Schnarrenberger auch tat.

Auch die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem und das Simon-Wiesenthal-Zentrum schlossen sich dem Aufruf an. Efraim Zuroff, Direktor des Zentrums, sagte der Jerusalem Post, "Deutschlands bisheriges Versäumnis, Faber vor Gericht zu stellen oder in die Niederlande zurückzuschicken, ist eine Farce, die so schnell wie möglich korrigiert werden muss, so lange Gerechtigkeit noch möglich ist."

Faber habe sich juristischen Beistand der "Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte" gesichert, berichtet die britische Daily Mail. Die 1951 gegründete Organisation hat in der Vergangenheit immer wieder mutmaßliche NS-Täter mit Anwälten und Geld unterstützt. Ende November habe die Gruppe sich an einem geheimen Ort in München getroffen, um über den Fall Faber zu beraten, so die Daily Mail unter Berufung auf einen anonymen Zuträger. Das Blatt belegt die Geschichte mit einem Foto der 81-jährigen Gudrun Burwitz, der Tochter von SS-Führer Heinrich Himmler und Führungsfigur der Stillen Hilfe.

Ein Reporter des britischen Boulevardblattes Sun hatte Faber im Sommer in Ingolstadt aufgestöbert, wo er seit 1961 lebt und bis zur Rente bei Audi gearbeitet hat. Gesprochen hat Faber nicht mit dem Reporter. Auch sonst igelt er sich ein, bleibt unauffällig. Bisher ist er gut damit gefahren.

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