An
Weihnachten 1952 flüchten sieben verurteilte NS-Kriegsverbrecher
aus einem Gefängnis in Holland. Einer von ihnen lebt bis
heute in Freiheit in Ingolstadt.
Am 26. Dezember 1952 begann ein dunkles Kapitel bundesdeutscher Rechtsgeschichte,
das Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP) gern zum Abschluss bringen möchte. Zuständig
sind jedoch die Behörden in Bayern – und die
sehen die Chancen skeptisch, den in den Niederlanden
verurteilten NS-Kriegsverbrecher Klaas Faber
der Gerechtigkeit zuzuführen.
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Der gebürtige Niederländer Klaas Carel (oder
Carl) Faber wurde 1944 von einem Sondergericht
zum Tode verurteilt, wegen der Erschießung
von mehr als 20 meist jüdischen Gefangenen,
unter anderem im KZ Westerbork, wo auch Anne
Frank zeitweise saß. 1948 wurde das Urteil
in lebenslange Haft umgewandelt. Faber saß
in De Koepel ein, dem Gefängnis von Breda.
Als am 26. Dezember 1952 zur Feier des Weihnachstages
ein Film gezeigt wurde, nutzten er und sechs
weitere NS-Kollaborateure die Gelegenheit
zur Flucht nach Deutschland.
Eine Strafe
wegen illegalen Grenzübertritts bezahlte ein
Gerichtsdiener für die "Kameraden", eine Auslieferung lehnte die Bundesrepublik ab. Der Bundesgerichtshof erklärte
die Geflohenen zu Deutschen, die laut Grundgesetz
nicht ausgeliefert werden dürfen. Die Rechtsgrundlage
ist ein Erlass Adolf Hitlers von 1943, demzufolge
Mitglieder der Waffen-SS automatisch ihre alte
Staatsangehörigkeit verlieren und die deutsche
erhalten. Eigene Ermittlungsverfahren stellten
die deutschen Behörden bald ein.
Heute
lebt von den "Sieben von Breda" nur noch Faber, 88 Jahre alt, wohnhaft in Ingolstadt. Bundesjustizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger hat mit den niederländischen
Behörden telefoniert, um über Wege zu sprechen,
wie er doch noch bestraft werden kann. Ende
November erließen die Niederländer einen europäischen
Haftbefehl. Darin wird Faber als "staatenlos" bezeichnet, um das Auslieferungsverbot zu umgehen. Nun prüfen die bayerischen
Behörden, ob er wirklich staatenlos ist.
Im Münchener
Justizministerium will man der Prüfung nicht
vorgreifen, ist aber skeptisch. Schon das Oberlandesgericht
Düsseldorf habe ja 1954 die Auslieferung für
unzulässig erklärt, "da Faber Deutscher sei". Faber könnte nur mit seiner Zustimmung zur Strafvollstreckung ausgeliefert
werden. Die wird er kaum geben.
Die Niederlande
haben angekündigt, die Vollstreckung der Strafe
in Deutschland zu beantragen, sollte der Haftbefehl
abgelehnt werden. Einen solchen Antrag hatte
das Landgericht Ingolstadt aber schon 2004
abgewiesen. Die Vollstreckung würde, so das
Gericht unter Hinweis auf die eingestellten
deutschen Ermittlungen, gegen den Grundsatz
verstoßen, dass niemand zweimal wegen der gleichen
Tat verfolgt werden darf.
Bliebe noch ein neues deutsches Ermittlungsverfahren. Eine Wiederaufnahme sei "prinzipiell möglich", so das bayerische Justizministerium. Dafür müssten sich neue Tatsachen ergeben,
die in früheren Verfahren nicht gewürdigt wurden.
In den fünfziger Jahren hielt die niederländische
Regierung die deutschen Behörden für durchsetzt
von alten Nazis und weigerte sich, die Ermittlungen
zu unterstützen. Der deutschen Staatsanwaltschaft
fehlten Akten.
Gute Chancen also für eine Neuaufnahme, sollte man meinen. Doch die Staatsanwaltschaft
München I hatte bereits 2006 neu ermittelt, "ohne dass sich ein hinreichender Tatverdacht für noch verfolgbare Straftaten
ergeben" habe, wie das Ministerium wissen lässt. Die Staatsanwälte hielten die Kriegsverbrechen
Fabers nicht für Mord, sondern allenfalls für
Totschlag oder Beihilfe zum Mord. Beides wäre
verjährt.
Israelische
Medien berichten mit Unverständnis über die
mangelnden Fortschritte in der Causa Faber.
150 Jerusalemer Anwälte forderten in einer
Petition Israels Justizminister Jaakov Neeman
auf, in Berlin zu intervenieren, was der Minister
nach Angaben eines Sprechers per Brief an Leutheusser-Schnarrenberger
auch tat.
Auch die
Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem und das
Simon-Wiesenthal-Zentrum schlossen sich dem
Aufruf an. Efraim Zuroff, Direktor des Zentrums,
sagte der Jerusalem Post, "Deutschlands bisheriges Versäumnis, Faber vor Gericht zu stellen oder in die
Niederlande zurückzuschicken, ist eine Farce,
die so schnell wie möglich korrigiert werden
muss, so lange Gerechtigkeit noch möglich ist."
Faber habe sich juristischen Beistand der "Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte" gesichert, berichtet die britische Daily Mail. Die 1951 gegründete Organisation
hat in der Vergangenheit immer wieder mutmaßliche
NS-Täter mit Anwälten und Geld unterstützt.
Ende November habe die Gruppe sich an einem
geheimen Ort in München getroffen, um über
den Fall Faber zu beraten, so die Daily Mail
unter Berufung auf einen anonymen Zuträger.
Das Blatt belegt die Geschichte mit einem Foto
der 81-jährigen Gudrun Burwitz, der Tochter
von SS-Führer Heinrich Himmler und Führungsfigur
der Stillen Hilfe.
Ein Reporter
des britischen Boulevardblattes Sun hatte Faber
im Sommer in Ingolstadt aufgestöbert, wo er
seit 1961 lebt und bis zur Rente bei Audi gearbeitet
hat. Gesprochen hat Faber nicht mit dem Reporter.
Auch sonst igelt er sich ein, bleibt unauffällig.
Bisher ist er gut damit gefahren.
zeit.de
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