25.11.2010 cicero.de
Hitlers Schergen sind unter uns. Doch wie lange noch?
von Constantin Magnis

Ob die übrigen drei in Deutschland Lebenden auf der Gesuchtenliste je belangt werden, ist sehr die Frage. Nicht nur, weil auch sie uralt sind.

Da wäre zum einen der Ingolstädter Klaas Carl Faber: Der gebürtige Niederländer war einer der ersten Freiwilligen beim SS-Dienst der deutschen Besatzer und soll an den "Silbertanne"-Morden beteiligt gewesen sein, der Erschießung von mindestens 54 unbewaffneten Holländern. In den Niederlanden wurde er 1947 wegen der Hinrichtung von Gefangenen, unter anderem im Juden-Durchgangslager Westerbork, zum Tode verurteilt. 1948 wurde Fabers Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Er brach 1952 aus dem Gefängnis aus und floh nach Deutschland, wo ab 1954 die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen ihn ermittelte. Doch weil die holländische Regierung auf seine Auslieferung beharrt, weigert sie sich, Rechtshilfe zu leisten, die Anklage wird mangels Beweisen fallengelassen. Bis zur Rente arbeitet Faber ungestört bei Auto Union und Audi in Ingolstadt, erst 2003 rollen die Niederländer den Fall wieder auf. Doch das Landgericht Ingolstadt befindet, die Vollstreckung sei nicht zulässig - wegen der ergebnislosen Ermittlungen von 1954. Die Akte wird geschlossen. Heute bewohnt Faber mit seiner Frau einen Wohnblock im Ingolstädter Piusviertel. Gerade allerdings kam Bewegung in den Fall Faber: Im November erließen die Niederlande einen europäischen Haftbefehl gegen den 87-Jährigen, der erneut auf dessen Auslieferung an die Niederlande abzielt. Der Erfolg bleibt abzuwarten.

Noch schwieriger die Causa Sören Kam: Während des zweiten Weltkrieges leitete der als SS-Obersturmbannführer eine Schule für dänische SS-Freiwillige in Kopenhagen, die so genannte „Viking-Division“. Dort war auch die berüchtigte Todesschwadron gegen Oppositionelle, die „Peter-Gruppe“, stationiert, auch Kam selbst war an Liquidierungen beteiligt. Im Rahmen einer „Säuberungsaktion“ soll Kam auch in den Mord des dänischen Journalisten Carl Henrik Clemmensen verwickelt gewesen sein und sich im August 1943 am Raub des Einwohnerverzeichnisses der jüdischen Gemeinde in Dänemark beteiligt haben, der Deportation dänischer Juden möglich gemacht hat. Doch noch bevor man ihm in Dänemark den Prozess machen konnte, tauchte er in Deutschland ab, wo er 1956 die Staatsangehörigkeit bekam. Zwar wurde 1968 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet, doch schon 1971 wurde es aus „Mangel an Beweisen“ wieder eingestellt. Auch eine mit neuen Beweisen angestrengte Neuauflage 1997 lief ins Leere, und als er 2006 auf dänischen Druck hin doch kurzzeitig festgenommen wurde, ließ man den alten Mann schließlich wegen Verjährung wieder laufen. Heute lebt Kam als Rentner in Kempten im Allgäu. Öffentlich lässt er sich kaum blicken, nur die Teilnahme am NS-Veteranentreffen am Österreichischen Ulrichsberg, die ließ er sich nicht nehmen.

Kaum hoffnungsvoller für die Justiz ist der Fall Algimantas Dailide. Als Mitglied der litauischen Geheimpolizei Saugumas hatte er Juden, die aus dem Ghetto von Vilnius fliehen wollten, an die Nazis ausgeliefert. In der Folgezeit ermordeten die Nazis etwa 220.000 litauische Juden. Dailide verschwand in die USA, wo man ihn erst 2001 aufspürte. Weil er bei seiner Einwanderung gelogen und seine Vergangenheit verschwiegen hatte, entzog man ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft. Der Kriegsverbrecher floh nach Toronto und versteckte sich 2004 schließlich bei einem Cousin seiner Frau im sächsischen Kirchberg. Kurz darauf wurde er in Litauen angeklagt. Das Gericht sprach ihn schuldig, an die Nazis 14 Juden ausgeliefert zu haben, die kurz darauf ermordet wurden. 2006 wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, ohne die Strafe antreten zu müssen. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes, wie es hieß. In Kirschberg trifft man ihn noch immer gut gelaunt beim Einkaufen.

Die Männer, die damals, wie die Süddeutsche Zeitung einmal schrieb, „ im Schlachthaus der Weltgeschichte für Ruhe und Ordnung gesorgt“ haben, sind heute tattrige Greise mit Hörgerät, Gehhilfe und Pflegestufe. Sie gehörten zum Bodenpersonal, das die Mordmaschine der Nazis geschmiert hat. Ein halbes Jahrhundert lang wurden sie nicht belangt. Das im Jahre 2010 aufholen zu wollen, ist ein ehrgeiziges Projekt.

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