04.11.2010
derwesten.de
„Was ist, wenn alle Täter tot sind ?“
Torsten Koch

Arnsberg. Er bezeichnet sich selbst als „simpler Strafverfolger“ und nicht als „Nazijäger“. Und sachlich - nicht reißerisch - berichtete Ulrich Maaß auch den Schüler/-innen der Stufe 11 des Gymnasiums Lauren­tianum über seine akribische, oft problematische und stets erschütternde Arbeit.

Der Jurist war bis vor kurzem Leiter der „NRW-Zentral­­stelle 1 für Nazi-Massenverbrechen“ in Dortmund. Inzwischen Oberstaatsanwalt „a.D.“, lässt ihn seine Ermittlungsarbeit in Sachen Verbrechen, die inzwischen über 60 Jahre zurück liegen, auch im Ruhestand nicht ruhen.

Mit Unterbrechungen sucht er seit 1979 nach Kriegsverbrechern aus dem Zweiten Weltkrieg, nach neuen Beweisen und bislang geheim gehaltenen oder vergessenen Akten.

Kein einfacher Job, wie er den über 100 im Rittersaal des Alten Rathauses versammelten Pennälern vermittelte. Die lauschten aufmerksam den Ausführungen des einstigen Anklägers, der einer Einladung der „Fachschaft Geschichte“ des Laurentianums gefolgt war. Geschichtslehrer Jürgen Müller, der die Organisation der Veranstaltung übernommen hatte, ließ bereits in seiner Einführung eine häufig gestellte Frage anklingen: „Muss nicht irgendwann Schluss sein?“

„Weil wir es den Opfern schuldig sind“
Eine Frage, die sich für Maaß nie gestellt hat: „Warum wir das noch machen - weil wir es den Opfern schuldig sind. Und weil es meine Pflicht als Strafverfolger ist!“ Eine Pflicht, die ihm nicht nur Lob, sondern auch Kritik einbrachte, ihn aber nie von seinem Weg abweichen ließ - Erfolg um der Sache Willen. In der anschließenden Podiumsdiskussion stellte Ulrich Maaß auf die Frage nach Mitleid mit den - inzwischen meist sehr betagten - Tätern eine Gegenfrage: Hatten diese denn einst Mitleid mit ihren Opfern...?

„So gut wie nie“, beantwortet der Pensionär im „Unruhestand“ die Frage selbst - meist habe er bei den Tätern einen Verdrängungsaspekt festgestellt - „die lebten völlig normal, bei Hausdurchsuchungen bekamen wir oft Kaffee angeboten, aber niemals Reue.“

Kephallonia
Dieser Aspekt und die Schwierigkeit der Ermittlungsarbeit haben den Dortmunder hart gemacht - und hartnäckig: So rollte er im Jahr 2001 das Verfahren „Ke­phallonia“ wieder auf, das bereits in den 1960er Jahren eingestellt worden war. Doch selbst weltweite Ermittlungen brachten kein Licht mehr in das Massaker, das deutsche Gebirgsjäger 1943 auf der griechischen Insel unter italienischen Kriegsgefangenen angerichtet hatten. Wegen „geringer Schuld“ wurde die Anklage gegen zwei ehemalige Gefreite fallen ge­lassen. Verantwortliche Offiziere konnten nach fast sechs Jahrzehnten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Dieser Fall spiegelt die gesamte Pro­blematik der Strafverfolgung auf diesem Gebiet wider: Tatorte, die oft im Ausland liegen, Zuständigkeiten, Instanzen sowie Verhandlungs-/Haftfähigkeit potenzieller Täter.

Ein Wettlauf gegen die Zeit, der auf die Zielgerade eingebogen ist. „Was ist, wenn alle Täter tot sind?“, fragte ein Schüler. Dann sei Schluss, so Maaß, der sogar mit einem konkreten Datum aufwartete: Im Jahr 2022 sei der jüngste eines Kriegsverbrechens im Zweiten Weltkrieg verdächtige Deutsche 95 Jahre alt - so er denn überhaupt noch lebt.

Danach sind die Strafverfolger außen vor - und die Historiker bei der Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel der Geschichte wieder allein.

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