30.08.10 welt.de
Tauziehen um einen NS-Täter
Von Rob Savelberg

Der Fall Klaas Faber beschäftigt zwei Bundesministerien, die bayerische Justiz und die Niederlande

Ingolstadt - Bayerns Justiz gerät unter Druck. In Holland und Israel wächst Unverständnis, teilweise sogar Wut, weil der verurteilte NS-Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber seit einem halben Jahrhundert unbehelligt in Ingolstadt lebt. Auch das Bundesjustizministerium verlangt, gegen den 88-jährigen Rentner vorzugehen.

Faber, geboren 1922 in Haarlem, hat während der deutschen Besetzung der Niederlande an der Exekution von 22 Widerstandskämpfern mitgewirkt. Wie sein Bruder Pieter Johan war er Mitglied des Sonderkommandos Feldmeijer, einer Spezialeinheit der SS, und erschoss im Rahmen der "Aktion Silbertanne" holländische Zivilisten als "Vergeltung" für Anschläge auf Besatzungssoldaten. Dafür wurden die beiden Fabers 1947 in Holland zum Tode verurteilt. Während sein Bruder hingerichtet wurde, wandelte das zuständige Gericht das Urteil gegen Klaas Faber 1948 in "lebenslänglich" um. Vier Jahre später gelang ihm die Flucht nach Deutschland. Die niederländische Regierung ersuchte die Bundesrepublik sofort um die Auslieferung.

Doch Bonn weigerte sich. In einem "Führererlass" hatte Adolf Hitler 1943 festgelegt, dass ausländische SS-Freiwillige automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Faber hatte wegen seiner Kollaboration mit den Nazis die niederländische Nationalität verloren. Da damals als Reaktion auf die NS-Ausbürgerungen deutsche Bürger nicht zur Bestrafung an andere Staaten ausgeliefert wurden, schützte nun der junge Rechtsstaat Faber davor, zum Strafvollzug in die Niederlande zurückgebracht zu werden.

1957 hatte die deutsche Justiz versucht, den langjährigen Audi-Arbeiter hinter deutsche Gitter zu bringen. Der Versuch misslang. Das Landgericht Düsseldorf ließ eine Anklage nicht zu, denn Holland verweigerte jegliche Kooperation mit dem Gericht und bestand stattdessen auf Fabers Auslieferung.

In Aachen wurde nun aber im vergangenen März Heinrich Boere verurteilt, wie Faber einer der "Silbertannen"-Mörder. Auch Boere war in den Niederlanden nach Kriegsende schon einmal der Prozess gemacht worden. Damit gibt es nun einen möglichen Präzedenzfall. Bereits als FDP-Oppositionsführerin in Bayern hatte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Fall Faber aufgegriffen. Jetzt nimmt sie einen neuen Anlauf, wozu sie auch von ihrer israelischen Kollegin sowie 150 israelischen Anwälten aufgefordert worden war. Sie regte an, das niederländische Urteil in Deutschland zu vollstrecken (wie Holland es 2004 vorgeschlagen hat.) Allerdings lehnte das Landgericht Ingolstadt dies damals ab. Bayerns Justizministerin Beate Merk antwortete nach Berlin, es sei nicht "weiterführend", die Staatsanwaltschaft Ingolstadt zu fragen, ob sie das holländische Urteil umsetzen wolle. Stattdessen bat die stellvertretende CSU-Vorsitzende um ein neues förmliches Ersuchen aus den Niederlanden in der Frage.

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Im niederländischen Justizministerium in Den Haag reagiert man erstaunt: ,,Die Situation hat sich nicht verändert. Wir haben nichts aus Deutschland gehört", sagte ein Sprecher der WELT. Offenbar arbeiten die verschiedenen Behörden im Fall Faber aneinander vorbei. Bei der Kabinettssitzung am kommenden Mittwoch wird Leutheusser-Schnarrenberger ihren Ministerkollegen und Parteichef Guido Westerwelle fragen, ob er die Holländer für ein erneutes Ersuchen an die bayerische Justiz gewinnen kann.

Jedoch ist die Rechtslage unklar: ,,Wir bezweifeln, ob das Verfahren aus 1957 Sperrwirkung hat und ob man neue Tatsachen liefern muss", teilt das Bundesjustizministerium auf Anfrage mit. In München sieht man das anders: ,,Die Hürden sind sehr hoch, die Chancen nicht positiv", sagt Merks Sprecher Stefan Heilmann. "Ein neues Verfahren findet nur bei einem Geständnis statt, oder wenn die Fälschung von Zeugenaussagen oder Dokumenten belegt sind." Es greife das rechtsstaatliche Prinzip, dass eine doppelte Bestrafung in derselben Sache verboten sei, der so genannte Strafklageverbrauch.

Der niederländische Kriegsreporter Arnold Karskens hat dennoch Hoffnung, dass auch der letzte holländische Nazigreis sein Lebensende hinter Gittern verbringen wird. Er hat zahlreiche Kriegsverbrecher aufgespürt, Heinrich Boere war einer davon. Das Urteil gegen Boere zeige, dass langer Atem und Durchhalten schließlich zu Gerechtigkeit führen könne. Zwar spät, aber besser als gar nicht.

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