Juli 2007

Aus Jüdische Allgemeine 27 vom 5.
  Auf Spurensuche nach NS-Tätern
Wiesenthal Center und Forschungseinrichtung aus Münster wollen gemeinsam Täterbiografien schreiben
by Gerd Felder
 
 

Es ist ein einmaliges Projekt: Seit letztem Jahr arbeiten das Jerusalemer Büro des Simon Wiesenthal Centers und die Villa ten Hompel in Münster zusammen. Das Wiesenthal Center sammelt seit Jahren im Rahmen seiner „Operation Last Chance“ Informationen über NS-Täter in Europa. Die Villa ten Hompel, in der Nazizeit Sitz der Ordnungspolizei, forscht zu den Themen Polizei, NS und Nachkriegsgeschichte. Beide Institutionen lassen die Ergebnisse ihrer Arbeit nun zusammenfließen und wollen ein gemeinsames Projekt unter dem Titel „Europäische Täterbiografien“ entwickeln. „Das ist wirklich unsere letzte Chance, die Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen“, betonte der Leiter des Simon Wiesenthal Centers, Efraim Zuroff. Immer noch gebe es einige tausend Personen, die am Holocaust beteiligt gewesen seien, aber niemals angeklagt wurden.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals vor Gericht gestellt würden, werde immer geringer. Deshalb entschied sich das Simon Wiesenthal Center vor fünf Jahren, die Bemühungen um eine Bestrafung von Nazi-Verbrechern mit neuen Methoden zu verbessern. Konzipiert wurde das Projekt von Zuroff. Die „Operation Last Chance“ setzt eine Belohnung für Hinweise aus, die zur Anklage von NS-Tätern führen. Inzwischen läuft „Last Chance“ in neun Ländern: den baltischen Staaten, Polen, Rumänien, Österreich, Kroatien, Ungarn und Deutschland. „Wir erhielten in Deutschland 80 Namen von Verdächtigen“, so Zuroff. „Fünf Fälle wurden den Strafverfolgungsbehörden übergeben.“ Auch die Bitte um Informationen aus der Bevölkerung hatte in der Bundesrepublik großen Erfolg: „Deutschland ist das einzige Land der Welt, in dem wir sogar von Verwandten Hinweise auf Kriegsverbrecher bekamen“, betonte Zuroff.

Stefan Klemp, beim Wiesenthal Center zuständig für Deutschland und Österreich, erläuterte, dass man der Villa ten Hompel Materialien zur Forschung und politischen Bildung wie etwa Tonband- und Filmaufnahmen zur Verfügung stelle. Umgekehrt sei man durch die Quellen, Dokumente und Archive der Villa ten Hompel auf die Namen von Nazi-Tätern gestoßen. „So haben wir beispielsweise mit den Akten eines Täter-Anwalts helfen können, die wir auf einem Dachboden gefunden haben“, berichtete der Leiter der Villa ten Hompel, Christoph Spieker. In der Gedenk-, Lern und Forschungsstätte lagern vor allem Namenslisten der Polizeibataillone, die an der systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung Osteuropas beteiligt waren.

Spieker: „Wir können keine juristische Bewertung liefern. Aber wir können Material neu nutzen, das in keinem Museum der Bundesrepublik zu finden ist, und Zusammenhänge herstellen, die bisher als nicht relevant betrachtet wurden.“ Die bisherige Bilanz kann sich sehen lassen: Fast 500 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, 67 Nazi-Verbrecher verurteilt. „Es ist immer noch möglich, die Mörder zur Verantwortung zu ziehen“, gibt sich Efraim Zuroff überzeugt. „Aber nicht mehr lange. Fünf Jahre, vielleicht sechs – dann ist unsere letzte Chance vorbei.“