27.05.2010 10:06
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Auf der Jagd
RON STEINKE

Ein Besuch bei Efraim Zuroff, der von Jerusalem aus weltweit nach NS-Verbrechern sucht. Im Auftrag des Simon Wiesenthal Centers will er sie vor Gericht bringen.
Durch das Büro muss man sich schlängeln, besonders wenn man so groß ist wie Efraim Zuroff, doch zwischen der Wohnküche mit Kopiergerät und dem altmodisch-eierschalenfarbenen Badezimmer hält er trotzdem inne. Für die große Geste. 'Wahrscheinlich das beste Archiv zur Strafverfolgung von NS-Verbrechen weltweit!' Einen Tick leiser, und man hätte sich vielleicht gar nicht darüber gewundert.

Nicht, dass man ihm das nicht glauben würde. Warum allerdings muss einer, den sie nach 30 Karrierejahren den 'letzten Nazijäger' nennen und zuletzt in Serbien für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen haben, heute noch so aufschneiden? Dass er zur Geschichte des Holocaust promoviert hat, streut er anschließend noch ein, während er etwas jungenhaft im Sessel hin und her wippt. Für Journalisten lieber einmal zu oft. Nachlesen lässt sich das natürlich auch in seiner neuen Autobiografie. Die übrigens bereits die zweite ist.

Seit 24 Jahren leitet Efraim Zuroff, 62, von diesem Büro aus die weltweiten Bemühungen des privaten Simon Wiesenthal Centers, bislang unbehelligte NS-Verbrecher vor Gericht zu bringen. Man kann über diese Karriere sagen, dass die leisen Sohlen des Detektivs nie seine Sache waren. Man kann sich aber fragen, ob nicht gerade darin ein Teil seines Erfolgs begründet liegt.

Zuroff, der Lautsprecher, hat Österreich einmal einen 'Rückzugsraum für NS-Verbrecher' genannt, so meint man sich zu erinnern.'Nein, ein Paradies für NS-Verbrecher!' korrigiert er. Breiter New Yorker Akzent, schelmisches Lachen. 'So lautet mein berühmtes Zitat!'

Anlass war damals eine seiner schmerzhaftesten Niederlagen. Als Erna Wallisch starb, jene mutmaßliche 'KZ-Hexe' von Majdanek, die in Österreich in Frieden alt werden durfte, überschlug sich Zuroffs Stimme fast am Telefon. Jahrzehntelang hatten die österreichischen Behörden sich geweigert, Erna Wallisch nach Polen auszuliefern, wo ihr der Prozess gemacht werden könnte. Erst im Jahr 2008 war Zuroff das geglückt, was die Österreicher nicht mehr versucht hatten: Er spürte fünf hochbetagte polnische Zeugen auf, die zu einer Aussage gegen ihre einstige Peinigerin bereit waren. Kaum einen Monat später 'entzog' sich Wallisch endgültig ihrer Bestrafung, wie Zuroff sagt. Als er im vergangenen Jahr erfuhr, dass der berüchtigte KZ-Arzt von Mauthausen, Aribert Heim, wahrscheinlich bereits seit Jahren tot war, gab es wieder einen solchen Moment. Ein Kamerateam des ZDF hatte sich in Zuroffs Jerusalemer Büro gezwängt. Jahrelang war er Aribert Heim auf der Spur gewesen, zuletzt in Südamerika, dahinter stets Journalisten aus aller Welt. Nun enthüllten die ZDF-Reporter, dass der KZ-Arzt wahrscheinlich bereits 1992 an Krebs gestorben war. In Kairo! 'Ich hoffe, er hat gelitten', platzte es aus Zuroff heraus.

Natürlich, diese Arbeit sei sehr frustrierend, sagt er und dreht seine kleine, gehäkelte Kippa langsam in den Händen. Die allermeisten Täter haben ihr Leben unbehelligt zu Ende leben können, und auch in den wenigen Fällen, in denen dies anders war, blieben die irdischen Strafen im Grunde lächerlich. Immerhin, dass die historische Wahrheit noch einmal ins öffentliche Bewusstsein komme, sei schon eine Befriedigung, sagt Zuroff. Zudem scheint er seine Frustration inzwischen aber auch recht geschickt zu ventilieren.

Der Leiter der Ludwigsburger Zentralen Stelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen, Ludwig Schrimm, ist ein geduldiger Gesprächspartner, bei diesem Thema braust er jedoch auf: Seit einigen Jahren vergibt das Wiesenthal Center jährlich zum israelischen Schoah-Gedenktag im April 'Schulnoten' für die Bemühungen der Justiz in verschiedenen Ländern. Per Pressemitteilung. Danach bekommt Zuroff meist Gelegenheit, seine Kritik in Interviews zu präzisieren. 'Ich spreche Herrn Zuroff die Kompetenz ab, unsere Arbeit zu bewerten', sagt Ludwig Schrimm auffallend schnell.

Natürlich ist Zuroff nicht weniger kompetent als viele andere Beobachter, die der deutschen Justiz jahrzehntelange Untätigkeit attestieren - aber die staatlichen Ermittler zu solchen Reaktionen zu reizen? Man muss das tatsächlich erst einmal schaffen. Zuletzt hat sich die Note für Deutschland deutlich verbessert, von 'Ungenügend' im Jahr 2007 auf 'Sehr gut' in diesem Jahr. 'Ich möchte natürlich gerne glauben, dass unsere Kritik etwas zu dieser Trendwende beigetragen hat.' Zuroff achtet darauf, dass die Worte einsinken, bevor er weiterspricht. 'So energisch, wie dies abgestritten wird, scheint mir die Kritik zumindest nicht ganz auf taube Ohren gestoßen zu sein!' Die großen Gesten haben über die Jahre sicher nicht geschadet.

Im Sommer 2008 flog Zuroff nach Österreich, um medienwirksam darauf aufmerksam zu machen, dass an der vermeintlichen Verhandlungsunfähigkeit eines hochbetagten NS-Verdächtigen Zweifel bestünden. Nachdem die Behörden einen neuen Gutachter bestellt hatten, rutschte einem Sprecher am Telefon heraus, nun müssten endlich auch 'die Herrschaften Zuroff' zufrieden sein.

Zuroffs Eltern wünschten sich von ihrem Sohn eigentlich, dass er ein Rabbiner werde wie der Großvater, seine Entscheidung für ein Geschichtsstudium war da eine kleine Enttäuschung. 'Und heute laufe ich selbst herum und sage den Leuten, was sie tun sollen', sagt er lachend. 'Das könnte doch kein Rabbi schöner!'

Tatsächlich war der Großvater nicht irgendein Rabbiner, sondern ein Universitäts-Dekan in New York, der Sohn ächzte unter dem Erwartungsdruck der Familie. Als er früh nach Israel auswanderte, hörte man zunächst nur noch wenig von ihm. Für das amerikanische Justizministerium forschte Zuroff in den Holocaust-Archiven in Jad Vaschem - die historischen Strafverfahren, an denen er mitarbeiten wollte, blieben jedoch aus.

Den US-Behörden fehlte die rechtliche Zuständigkeit, um letztlich 'europäische' Verbrechen zur Anklage zu bringen, den Europäern fehlte oft der politische Wille, und so quittierte Zuroff als 38-Jähriger entnervt den Staatsdienst und überzeugte das Wiesenthal Center, ihn stattdessen mit politischer 'Lobbyarbeit' gegen die allgemeine Antriebslosigkeit zu beauftragen. 'Vielleicht hatte ich auch nicht das richtige Naturell für die diplomatischen Redebeschränkungen eines Regierungsbeamten', sagt er und grinst.

Zu den echten Rabbis und den jüdischen Gemeinden ist das Verhältnis schwierig geblieben. Als Zuroff im Jahr 2004 zum ersten Mal nach Lettland kam, stellte er sich der Öffentlichkeit mit einer großen Pressekonferenz vor - wobei der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Lettlands, der als Gastgeber an seiner Seite saß, zunächst nur schwieg und dann immer kleiner wurde. Zuroff hielt Fotos ausgemergelter Menschen im Ghetto von Riga in die Höhe. Die Bilder würden als Zeitungsanzeigen im ganzen Land erscheinen, erklärte er. 'Lettische Kollaborateure halfen den Nazis, 100000 Juden zu ermorden', stand dort in dicken Buchstaben. Darunter das Versprechen einer Belohnung: 10000 Dollar für jeden Hinweis, der zur Ergreifung eines lettischen NS-Verbrechers führt.

Was Zuroff als demonstrativen Schulterschluss mit der örtlichen jüdischen Gemeinde geplant hatte, verwandelte sich vor den Augen der Journalisten in einen offenen Streit: Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zog seine Unterstützung Zuroffs zurück und stellte klar, dass Lettlands jüdische Bürger nichts zu tun hätten mit dieser Kampagne.

Zuroff findet auch bei solchen Sätzen keinen weicheren Ton: 'Ich kann mir diesen plötzlichen Sinneswandel nur mit der Befürchtung erklären, dass unsere Kampagne eine neue Welle des Antisemitismus in Lettland auslösen würde.' Er macht eine Rechnung auf. Das Risiko, in Lettland eine kleine Menge Antisemitismus zu 'verursachen', wie er sagt, sei es dem Wiesenthal Center allemal wert gewesen, wenn man Geschichtsfälschern im Baltikum langfristig einen Schlag versetzen könne.

Das sagt einer, der anschließend zurück ins warme Israel flog, wo die Zeitungen ihn mögen, er als angesehener Bürger und inzwischen als Großvater in einer Siedlung im Westjordanland lebt und wo jüdische Friedhöfe, anders als in Europa, keinen Graffiti-Entferner vorrätig zu halten brauchen. Der Vorkämpfer, der selbst im Trockenen sitzt - im Baltikum nahmen sie ihm das übel.

Der deutsche Zentralrat der Juden ließ es Zuroff gar nicht erst versuchen, in Deutschland eine ähnliche Anzeigenkampagne zu starten. Vor allem gegen die Idee eines 'Kopfgelds' verwahrte man sich. So nennt Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats, die Belohnung für sachdienliche Hinweise, die das Wiesenthal Center ausloben wollte. 'Der große Stephan Kramer', spottet Zuroff.

Er lehnt sich nach vorne und spricht jetzt ganz langsam, als erkläre er das kleine Einmaleins der Öffentlichkeitsarbeit: Ohne das Geld wäre dieser Kampagne nie eine vergleichbare Aufmerksamkeit in den Medien zugekommen. Selbst die kurzfristige aufgeregte Debatte sei ihm da durchaus zupass gekommen, glaubt einer, der ihn seit langem kennt.

Aus Estland, Lettland und Litauen erreichten das Wiesenthal Center damals tatsächlich Hunderte Briefe mit Zeugenaussagen, meist handschriftlich, oft seitenlang. Auf eine Belohnung verzichteten fast alle.

In insgesamt 101 Fällen sind auf diese Weise in ganz Europa Informationen gesammelt worden, die das Wiesenthal Center für ausreichend stichhaltig hielt, um einen bislang unbehelligten Verdächtigen anzuklagen. In allen 101 Fällen wurden die Hinweise an die zuständigen Behörden weitergeleitet.

'Im Nachhinein betrachtet, wäre es vielleicht richtig gewesen, die Kampagne zu unterstützen', sagt Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden heute. 'In der Zwischenzeit hat es ja einige neue Beispiele dafür gegeben, dass es nicht zu spät ist, um in Deutschland Täter vor Gericht zu bringen. Vielleicht wären es dann heute mehr.'

'Was für ein tolles Timing!' ruft Zuroff, als er das hört und freut sich über seinen eigenen Witz. 'Als wir Kramer brauchten, war er nicht da. Aber jetzt sind plötzlich alle auf unserer Seite.' Es klingt nicht, als hätte er darauf gewartet.

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