23.04.2010 09:07 Uhr
haz.de
Neue Ermittlungen gegen ehemaligen SS-Offizier

Nach den Verfahren gegen John Demjanjuk in München und Heinrich Boere in Aachen könnte es auch in Hannover noch einmal zu einem Kriegsverbrecherprozess kommen. Die hannoversche Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag einen Bericht der Süddeutschen Zeitung, wonach sie die Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich S.

wieder aufgenommen hat. Der 95-Jährige, der in der Region Hannover wohnt, steht im Verdacht, an Massakern im besetzten Polen beteiligt gewesen zu sein. Er selbst bestreitet die Vorwürfe.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Justiz für die Rolle S.’s während des Krieges interessiert. Zuletzt ermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover 2007 gegen ihn. Damals hatte er die Ermittler unfreiwillig selbst auf sich aufmerksam gemacht. Er klagte gegen eine frühere Geliebte, eine ehemalige Gestapo-Sekretärin, die in ihren Memoiren ihre Affäre mit einem SS-Offizier schildert, in dem sich S. wiedererkannte. Die Klage verlor er, die Ermittler aber wurden bei einem Satz hellhörig, den er in seiner Anklage über seine Rolle als Kompaniechef einer Polizeieinheit im Warschauer Getto formulierte. „Mein Bataillon hatte die äußere Absperrung zu gewährleisten und später den Aufstand mit 400 deutschen Deserteuren zu bewältigen“, schrieb S. Das Simon-Wiesenthal-Center beauftragte einen Historiker mit Recherchen. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen Anfang 2009 ein, allerdings ohne S. vernommen zu haben, wie Sprecherin Kathrin Söfker gestern einräumte.

Die neuen Ermittlungen beziehen sich auf eine mögliche Beteiligung von S. an Erschießungen im November 1943 im Raum Lublin. Bereits in den sechziger Jahren war er deswegen verhört worden, auch diese Ermittlungen wurden eingestellt. Er sei zur fraglichen Zeit auf Heimaturlaub gewesen, hatte S. bislang stets erklärt. Ein Brief, über den das SZ-Magazin berichtet, liefert jedoch Hinweise darauf, dass S. zumindest drei Tage vor den Erschießungen nicht im Urlaub, sondern im Dienst war. S.’s Einheit gehörte zum Polizeibataillon 101, dessen Beteiligung an den Massakern seit den Untersuchungen des amerikanischen Historikers Christopher Browning als gesichert gilt. Auf den Brief stützt die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Diesmal solle S. auch vernommen werden, kündigte Söfker an.

Wie erhellend das wird, ist jedoch fraglich. Der 95-Jährige wirkt am Telefon durchaus präsent und äußerst energisch, ist aber nach eigenen Worten sehr krank. Zu den neuen Vorwürfen wollte er sich am Donnerstag gegenüber der HAZ nicht äußern. Schon bei früheren Berichten hatte er jedoch bestritten, an Erschießungen beteiligt gewesen zu sein.

Der Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, ist dagegen von der Stärke der Indizien gegen S. überzeugt. „Ich bin erfreut und stolz, dass die Ergebnisse unserer Historiker zur Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen S. beigetragen haben“, erklärte Zuroff gegenüber der HAZ. Er hoffe, dass es auch zu einer Anklage und einem Prozess gegen S. kommt, fügte er hinzu. Dass S. nicht auf der Liste der zehn meistgesuchten NS-Verbrecher des Wiesenthal-Centers auftaucht, hat nach seinen Worten nur einen einzigen Grund: „Die Liste war bereits vor unseren Recherchen abgeschlossen.“

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