erstellt 23.03.10, 17:09h
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Lebenslange Haft für früheren SS-Mann Boere

Aachen/dpa. In einem der letzten Nazi-Prozesse ist der frühere SS-Mann Heinrich Boere am Dienstag in Aachen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht sprach den 88-Jährigen wegen dreifachen Mordes schuldig.

Boere habe 1944 drei niederländische Zivilisten «in menschenverachtender, brutaler und feiger Weise» erschossen, sagte der Vorsitzende Richter Gerd Nohl. Die Verteidigung kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an. Weil nach Meinung des Gerichts keine Fluchtgefahr besteht, wurde der Nazi-Verbrecher nicht in Haft genommen. Angehörige der Opfer zeigten sich nach dem Urteil dennoch erleichtert. Auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem reagierte mit Genugtuung auf die Verurteilung.

Boere folgte der ausführlichen Urteilsbegründung regungslos und in sich zusammengesunken. Richter Nohl äußerte sich skeptisch, ob der Greis die Haftstrafe wirklich verbüßen muss: «Ob die Strafe jemals vollstreckt werden kann - wir gehen ehrlich gesagt nicht davon aus.» Bei einer Revision werde wahrscheinlich auch der Europäische Gerichtshof eingeschaltet. Eine Entscheidung könne dann Jahre dauern.

Boere verübte seine Taten 1944, als die Niederlande von Nazi- Deutschland besetzt waren. Er war damals Mitglied des SS- Mordkommandos «Feldmeijer». Auf Befehl seiner Vorgesetzten erschoss er drei niederländische Zivilisten in Breda, Voorschoten und Wassenaar. Das Mordkommando wollte sich für Anschläge des niederländischen Widerstands rächen.

Boere habe bei den Aktionen offensichtlich den Ton angegeben, sagte Nohl. «Nach Ergebnissen der Beweisaufnahme war er immer vorne mit dabei: Er fragte die Leute nach ihrem Namen und schoss als erster. Er handelte aus Überzeugung.»

Bei den Angehörigen der Opfer herrschte große Erleichterung: «Das ist Gerechtigkeit, nach all der Zeit», sagte Teun de Groot (77), Sohn des erschossenen Fahrradhändlers Teunis de Groot, sichtlich bewegt. Dolf Bicknese (73), Sohn des erschossen Apothekers Fritz Bicknese, hatte zum ersten Mal einen Fuß auf deutschen Boden gesetzt, um das Urteil zu hören. Für ihn war es wichtig, dass der Schuldspruch von einem deutschen Gericht kam. «Ich bin sehr zufrieden», sagte er.

Der Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, erklärte, der Schuldspruch mache deutlich, dass die überwältigende Mehrheit der Nazi-Mörder bereitwillig und ohne Zwang gehandelt habe. Der Fall Boere beweise, dass Nazi-Kriegsverbrecher auch heute noch vor Gericht gebracht werden könnten, wenn der politische Wille dafür vorhanden sei. In den meisten europäischen Ländern sei dies bedauerlicherweise nicht der Fall.

Das Gericht wertete die Taten von Boere nicht als Kriegsverbrechen. «Es bleiben ganz normale Morde, verübt von einem Mörder.» Der heute staatenlose Boere habe sich all die Jahre danach nicht versteckt, obwohl in den Niederlanden eine lebenslange Haftstrafe wegen der Morde offen war. «Unbehelligt lebte er seit 1955 in Deutschland», stellte Nohl fest. Ganz offiziell hatte der frühere Bergmann sogar eine Entschädigung für eine kurze Haftzeit in den Niederlanden beantragt.

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