16. Januar 2010, 09:49 Uhr spiegel.de
Justiz ermittelt gegen Ex-Bundesbeamten wegen Holocaust-Verdacht

In Deutschland könnte sich ein spektakulärer Holocaust-Prozess anbahnen. Samuel K. soll im Vernichtungslager Belzec an der Ermordung von rund 430.000 Juden mitgewirkt haben. Später arbeitete er in einem Bundesministerium - nach SPIEGEL-Informationen prüft die Staatsanwaltschaft eine Anklage.

Hamburg - Er soll "einer der größten Mörder" im Vernichtungslager Belzec gewesen sein: Samuel K., jahrelang Mitarbeiter in einem Bundesministerium, heute 88 Jahre alt. Nach SPIEGEL-Informationen hat die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg ihre Vorermittlungen gegen Samuel K. abgeschlossen und einen 80 Seiten starken Bericht erstellt. Sie gibt dieser Tage das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Dortmund ab, die bald Anklage erheben könnte.

Parallel zum Münchner Gerichtsverfahren gegen den mutmaßlichen SS-Gehilfen John Demjanjuk bahnt sich damit ein weiterer spektakulärer Holocaust-Prozess in Deutschland an.

K. soll zwischen Ende November 1941 und Frühjahr 1943 als Aufseher im Vernichtungslager Belzec an der Ermordung von mindestens 430.000 Juden mitgewirkt haben. Als Zugwachmann mit der Erkennungsnummer 213 durfte der Volksdeutsche wohl eine Pistole tragen und Untergebene befehligen.

Erst zum Demjanjuk-Prozess tauchte K.s Name wieder auf

Ein ehemaliger, mittlerweile verstorbener Kamerad hat ausgesagt, dass K. außerdem selbst Juden erschossen hat, einmal Angehörige eines Arbeitskommandos und einmal Häftlinge nach einem Fluchtversuch. Ein Überlebender von Belzec nannte ihn laut Ermittlungsbericht "einen der größten Mörder" im Lager.

K. lebt als Ruhestandsbeamter in der Nähe von Bonn, zuvor arbeitete er als Amtsgehilfe im dortigen Bundesministerium für Raumordnung und Städtebau. Geboren wurde er 1921 in der damaligen Sowjetunion, in deutsche Dienste trat er als gefangener Sowjetsoldat im Sommer 1941. Drei Jahre später erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Obwohl K. in der Vergangenheit mehrfach als Zeuge in anderen Verfahren aussagte, geriet er selbst nie ins Visier der Justiz. Erst zum Demjanjuk-Prozess tauchte sein Name wieder auf, im vergangenen Sommer vernahmen ihn Beamte des Bayerischen Landeskriminalamtes. In der Folge trug eine Ludwigsburger Ermittlerin belastendes Material zusammen, vor allem Dokumente, die das US-Justizministerium in osteuropäischen Archiven gesammelt hatte.

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