Montag, 30. November, 14:36 Uhr
news.yahoo.com
Dem mutmaßlichen Peiniger gegenübertreten

München (ddp-bay). John Demjanjuk hat neben fast 28 000 Juden auch die Eltern und den Bruder von Robert Cohen auf dem Gewissen - davon jedenfalls ist der 83 Jahre alte Niederländer fest überzeugt. Am Montag ist Cohen zum Auftakt des Prozesses gegen den 89 Jahre alten Demjanjuk als Nebenkläger vor dem Münchner Landgericht erschienen, um dem mutmaßlichen ehemaligen Wachmann des Vernichtungslagers Sobibor wenigsten einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Diesen Artikel weiter lesen

Als Demjanjuk zu Beginn des Prozesses wegen Beihilfe zum Mord in 27 900 Fällen in seinem Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben wird, blickt Cohen gebannt auf den apathisch wirkenden Angeklagten. Auch die anderen Nebenkläger - zum Prozessauftakt haben sich um die 20 mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal versammelt - beobachten, wie Demjanjuk sich völlig teilnahmslos mit geschlossenen Augen und halb geöffnetem Mund dem Blitzlichtgewitter der Fotografen stellt.

«Das ist eine Show, der Mann will öffentlich krank erscheinen», kommentiert der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, in einer Prozesspause Demjanjuks Auftritt und nennt den 89-Jährigen «einen der größten Schauspieler der Welt».

Als einer der beiden Verteidiger Demjanjuks, Ulrich Busch, gleich zu Beginn der Verhandlung noch vor Verlesung der Anklageschrift einen etwa 40-minütigen Antrag auf die Befangenheit des Gerichts stellt, ist keiner der Prozessbeteiligten wirklich verwundert. «Das ist keine große Überraschung. Es muss jedem klar sein, dass die Verteidiger alles tun wollen, um das Verfahren zu stoppen», erklärt Zuroff.

Busch argumentiert, in früheren Verfahren seien vor dem Münchner Gericht Vorgesetzte und Ausbilder Demjanjuks freigesprochen worden. «Man fragt sich, wie es sein kann, dass der Befehlsgeber unschuldig, der Befehlsempfänger aber schuldig ist», betont Busch. Moralisch und juristisch würden vor dem Münchner Gericht «Doppelstandards» gelten.

Als aber der Anwalt ausführt, sein Mandant sei nicht als Täter, sondern als Opfer einzustufen, weil er sich als russischer Kriegsgefangener - um seinen Kopf zu retten - von den Nazis als Wachmann habe ausbilden lassen, geht ein Raunen durch den Gerichtssaal. Cohen und die anderen Nebenkläger schütteln verständnislos den Kopf.

Busch betont, Demjanjuk sei als «Überlebender des Holocaust» anzusehen, nicht als Mörder. Sein Mandant stehe sogar «auf gleicher Stufe» mit einigen jüdischen Nebenklägern, die sich - um den Gaskammern zu entkommen - zu Hilfstätigkeiten in Sobibor bereiterklärt hatten.

Cohen ist da ganz anderer Meinung. Er ist der festen Überzeugung, Demjanjuk hätte damals aus Sobibor fliehen können, hätte er nur gewollt. «Er hatte die Wahl», behauptet Cohen. Der 83-Jährige ist für den Prozess aus Amsterdam angereist. Er sehe es als «Pflicht», hier zu sein, betont er, für seinen ermordeten Bruder, seine ermordeten Eltern und für die Millionen anderen, die im Holocaust starben.

Er selbst, erzählt Cohen, sei damals nicht wie seine Angehörigen in Sobibor gewesen, sondern in Auschwitz. Elf Monate habe er dort verbringen müssen, weitere 16 Monate in anderen Konzentrationslagern. Auf seinem linken Unterarm ist die sechsstellige Gefangenennummer eintätowiert. Er wolle, dass Demjanjuk dafür bestraft werde, was er getan habe, sagt Cohen und gibt sich zuversichtlich: Deutschland kann sich seiner Ansicht nach «einfach nicht erlauben, eine leichte Strafe zu vergeben».

Die Staatsanwaltschaft wirft Demjanjuk vor, im Sommer 1943 im deutschen Vernichtungslager Sobibor in Polen Tausende Juden aus Deportationszügen in die Gaskammern getrieben zu haben. 1942 war Demjanjuk auf der russischen Halbinsel Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Nach wenigen Wochen holten ihn SS-Offiziere in das Ausbildungslager Trawniki in Polen. 1943 soll er als Wächter in Sobibor eingesetzt gewesen sein.

news.yahoo.com