02. Dez 2009, 16:01 Uhr
abendzeitung.de
Fall Demjanjuk: Kurz vor dem Fiasko
T. Gautier, T. Huber

Nach tagelangem Chaos vor Gericht bleibt John Demjanjuk am dritten Verhandlungstag gleich in Stadelheim – weil er sich zu krank fühlt. Die AZ klärt, wie schlimm es wirklich um ihn bestellt ist

MÜNCHEN - John Demjanjuk ist am dritten Prozesstag nicht erschienen: Er fühlte sich zu krank. Der Vorsitzende Richter Ralph Alt ließ die Verhandlung ausfallen. Sie wird am 21. Dezember fortgesetzt. Die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der deutschen Geschichte – endet sie im totalen Fiasko?

Um 8 Uhr stellte der Gefängnisarzt der JVA-Stadelheim fest: Demjanjuk (89) zeigt unklare Infektanzeichen und klagt über Kopf- und Gliederschmerzen. Eine Stunde nach Einnahme eines fiebersenkenden Mittels wurde bei dem Angeklagten eine Körpertemperatur von 37,5 Grad gemessen. Der Arzt geht davon aus, dass die Temperatur davor 38 Grad Fieber betrug. Demjanjuk sei deshalb nicht transportfähig.

Die Nebenkläger, die gestern vor Gericht aussagen sollten, sind enttäuscht. Viele halten Demjanjuks Krankheit für eine Farce: „Das ist eine Show, der Mann will öffentlich krank erscheinen“, sagte der Direktor des Wiesenthal Centers, Efraim Zuroff. Demjanjuk wurden Gicht, Bluthochdruck und Herzschwäche attestiert – dass viele ihm nicht glauben, daran ist er nicht ganz unschuldig: Vor seiner Überführung aus den USA nach München wurde er dabei gefilmt, wie er leichtfüßig über einen Parkplatz schritt.

Demjanjuk ist höflich, macht witze, flirtet mit einer Ärztin

Wie krank ist Demjanjuk wirklich? Ihm wird Beihilfe zum Mord an 27900 Menschen im Vernichtungslager Sobibor vorgeworfen. Der Arzt Albrecht Stein, der ihn im Prozess betreut, sagt: „Demjanjuk ist geistig voll da. Für sein Alter ist er in einer erstaunlich guten körperlichen Verfassung.“ Allerdings habe er schwere Schmerzen in der Wirbelsäule und bekäme Schmerzmittel. Dennoch: „Er ist immer höflich und macht auch Witze“, sagt Stein. Flirten tut er auch – mit einer jungen Ärztin. Als die ihn bat, die Stirn zu runzeln, um seine Motorik zu testen, sagte Demjanjuk: „Ich bin ein alter Mann. Ich möchte keine so junge Frau wie Sie erschrecken.“

Jochen Menzel sieht das anders. Der Vize-Chef der JVA Stadelheim, in der Demjanjuk inhaftiert ist, sagt: „Der Mann ist wirklich schwerkrank.“ Demjanjuk liegt in der Pflegeabteilung, wird von Dienstärzten und externen Spezialisten betreut. Mehrere Male wurde er in eine Münchner Klinik gebracht, in der er über Nacht blieb.

Der Zentralrat der Juden spricht derweil von einem „Fiasko“ – und ergreift Partei für den angeblichen KZ-Verbrecher. Generalsekretär Stephan Kramer warf der Justiz vor, mit dem Prozess „ihre Hände exemplarisch reinwaschen“ zu wollen. „Deutsche Nazis wurden freigesprochen, ausländische Kollaborateure werden verurteilt oder anders ausgedrückt: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“

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