30.11.2009 | 21:01
diepresse.com
NS-Prozess: „Demjanjuk wird immer ein Nazi bleiben“

1943 soll er im NS-Vernichtungslager Sobibor Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden geleistet haben. Mit keiner Miene verrät der Angeklagte, ob er versteht, was ihm da vorgeworfen wird. Eine Übersetzerin flüstert ihm alles ins Ohr.

Regungslos sitzt John Demjanjuk in seinem Rollstuhl, als der Richter am Landgericht München den Prozess gegen ihn eröffnet. Die Augen hat er geschlossen, seine blaugraue Baseballkappe ins Geschicht gezogen. Über seine Knie hat er eine blaue Decke gebreitet, hinter ihm steht ein Sanitäter.

Mit keiner Miene verrät der Angeklagte, ob er versteht, was ihm da vorgeworfen wird. Eine Übersetzerin flüstert ihm alles ins Ohr. Es geht um Beihilfe zum Mord, um die Tötung von 27.900 Juden im NS-Vernichtungslager Sobibor. Der gebürtige Ukrainer war als sowjetischer Gefangener von den Nazis für Hilfsdienste ausgebildet und 1943 sieben Monate in Sobibor im heutigen Polen eingesetzt worden.

In den vordersten Reihen des kleinen Gerichtssaals, der nicht annähernd alle interessierten Beobachter und Journalisten fasst, kehrt Aufregung ein, als Demjanjuk im Rollstuhl hinter die Anklagebank geschoben wird. Einige springen von ihren Sitzen auf und wollen den Angeklagten sehen. „Hinsetzen“, ruft eine ältere Frau. Einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher solle man nicht die „Ehre“ erweisen und sich erheben. Diejenigen, die in den ersten Reihen sitzen, haben Angehörige im Lager Sobibor verloren und treten als Nebenkläger im Prozess auf.

Unter ihnen ist auch Robert Cohen aus Amsterdam. Der 83-Jährige hat in Sobibor Eltern und Bruder verloren: „Ich will, dass Demjanjuk bestraft wird“, sagt er in der Prozesspause. Die meisten der in Sobibor getöteten Juden kamen mit Transporten aus den Niederlanden. „Deutschland kann es sich nicht erlauben, eine leichte Strafe zu geben. Da geht es doch um das Ansehen im Ausland“, sagt Cohen, während er den Ärmel seiner Anzugjacke nach oben rollt. Die Nummer 174708 wird sichtbar, eintätowiert auf seinem Unterarm, als Cohen als Jugendlicher nach Auschwitz deportiert wurde. „Demjanjuk war ein Nazi und wird immer einer bleiben.“ Daran gibt es für Cohen keine Zweifel.

Anwalt sieht Demjanjuk als Opfer
Das sieht Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch anders. Zu Beginn der Verhandlung stellt er ihn als Opfer, nicht als Täter dar. Demjanjuk sei ein Überlebender des Holocaust – so wie einige im Gerichtssaal. Der Anwalt ist der Meinung, dass Demjanjuk nur ein kleines Rädchen in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis war. Als ein von den Nazis gefangener Rotarmist habe er sich den Befehlen nicht widersetzen können.

Busch wirft dem Gericht „moraliche Doppelstandards“ vor. Demjanjuks deutsche Vorgesetzte seien entweder in früheren Prozessen freigesprochen worden, oder es sei erst gar nicht zu Ermittlungen gekommen. „Demjanjuk wird nach Deutschland importiert“, so Busch, während andere unbehelligt in Deutschland lebten. Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum Jerusalem meint hingegen, dass sich Helfer wie Demjanjuk nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen könnten.

Zentrale Frage zu Prozessbeginn war, ob der gebrechlich wirkende Demjanjuk, wirklich verhandlungsfähig ist. Die Gutachter sagten Ja. Drei Ärzte bestätigten, dass er trotz gesundheitlicher Einschränkungen voll vernehmungsfähig sei und dem Prozess folgen könne. Der Angeklagte sei kooperativ gewesen, habe sich untersuchen lassen und sei durchaus in der Lage, dem Verfahren zu folgen, erläuterte einer der Gutachter.

„Demjanjuk versucht, besonders krank auszusehen. So will er so viele Zweifel am Prozess wie möglich aufbringen“, sagt Efraim Zuroff vor dem Gerichtssaal. Er setzt auf die deutsche Justiz und hofft wie die Angehörigen der Opfer auf späte Gerechtigkeit.

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