01. Dez 2009, 11:21 Uhr abendzeitung.de
Demjanjuk-Prozess, Tag 2: Anwalt torpediert Verhandlung

Der Wahnsinn geht weiter im Landgericht München II: Der Anwalt des Angeklagten John Demjanjuk versucht am Dienstag, den Prozess auszuhebeln - und benutzt dafür ziemlich zweifelhafte Worte.

MÜNCHEN - Um 10. 55 Uhr wird die Anklage verlesen - immerhin, das ist schon was. Denn bis dahin hat John Demjanjuks Anwalt Ulrich Busch alles getan, um das zu verhindern. Im zweiten Prozesstag stellt Busch mehrere Anträge. 40 Minuten lang.

Zum Beispiel: Der Prozess muss ausgesetzt werden - für einige Zeit. Denn: Busch will noch Ermittlungsakten aus den USA, Polen und Israel heranziehen und brauche dafür mehr Zeit.

Also macht Busch weiter und zieht alle juristisch möglichen Register, um seinem Mandanten eine Verhandlung zu ersparen: Die deutsche Justiz sei gar nicht zuständig für Demjanjuk, sagt Busch. Der Ukrainer sei im KZ Sobibor kein deutscher Amtsträger gewesen. Der 89 Jahre alte gebürtige Ukrainer soll im Zweiten Weltkrieg an der Ermordung von 27 900 Juden mitgewirkt haben.

Außerdem spricht Busch von einer "illegalen Deportation" seines Mandanten. Demjanjuk war nach langen Verhandlungen von den USA nach Deutschland geflogen worden. Der 89-Jährige und seine Familie hatten sich heftig dagegen gewehrt, zogen sogar bis vor den Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA.

Während sein Anwalt spricht, murmelt Demjanjuk, der auf einer Bahre in Decken gehüllt im Gerichtssaal liegt, plötzlich etwas. Der Richter unterbricht den Anwalt, meint: "Herr Demjanjuk möchte etwas sagen." Die ukrainische Übersetzerin antwortet: "Nein - er betet."

Kurz vor elf darf Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz dann die Anklage verlesen. Dafür braucht er bis etwa 11.30 Uhr. „In gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung“ habe er gemeinsam mit anderen Wachmännern und SS-Leuten die Menschen in die Gaskammern getrieben, „weil er selbst deren Tötung aus rasseideologischen Gründen wollte“. Demjanjuk will sich zu den Vorwürfen an diesem Tag nicht äußern - und schweigt.

So denken auch die anwesenden 22 Familienangehörige von Ermordeten - sie treten auch als Nebenkläger auf. Als der Richter die Liste der in Sobibor eintreffenden Transporte verliest, sieht auch der Sobibor-Überlebende Thomas Blatt Demjanjuk fest ins Auge. Einige sähen in Demjanjuk einen alten, kranken Mann, sagte Blatt. „Ich sehe auch einen Mann, der die Juden in die Gaskammern gebracht hat.“

Nach der Anklageverlesung gibt es eine Unterbrechung: Demjanjuk wird noch einmal untersucht - die Ärzte sollen prüfen, ob er an diesem Tag weitermachen kann.

Bereits am Montag hatte sein Anwalt versucht, den Prozess wegen gesundheitlichen Gründen zu kippen - Demjanjuk leidet laut ärztlichem Gutachten auch an Gicht, Herzschwäche und Bluthochdruck. Medizinische Gutachter hatten dagegen eine tödliche Erkrankung von Demjanjuk verneint und ihn unter gewissen Einschränkungen für verhandlungsfähig erklärt. Nach Aussagen eines Mediziners handelt es sich bei der Knochenmarkserkrankung von Demjanjuk noch nicht um eine Krebserkrankung, sondern allenfalls um eine Vorstufe dazu.

Allerdings haben die Ärzte festgelegt, dass wegen der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten pro Verhandlungstag nicht länger als zwei Mal 90 Minuten verhandelt werden darf.

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