4. Mai 2005 Agence France Press
  Den letzten Nazi-Verbrechern auf der Spur
Von Susanne Sawadogo
 
 

Berlin, 4. Mai (AFP) - Als der NS-Verbrecher Adolf Eichmann 1961 in Israel vor Gericht gestellt wurde, war Efraim Zuroff zwölf Jahre alt. «Meine Mutter setzte mich vor den Fernseher und sagte: Sieh dir das an», erinnert sich der in den USA geborene und
aufgewachsene Jude. 25 Jahre später gründete der Historiker in Jerusalem die israelische Filiale des Simon-Wiesenthal-Zentrums, die sich vor allem mit der Suche nach NS-Verbrechern beschäftigt - wie Wiesenthal, der einst Eichmann aufspürte. Doch 60 Jahre nach Kriegsende ist die Jagd auf die letzten noch lebenden Täter ein Wettlauf gegen die Zeit. Um die Suche nach den Naziverbrechern zu beschleunigen, startete Zuroff vor drei Jahren die Kampagne « Operation Letzte Chance».

Anhand von Hinweisen aus der Bevölkerung wurden seitdem in mehr als einem Dutzend Staaten die Namen von 364 mutmaßlichen NS-Tätern ermittelt; 79 der Verdachtsfälle wurden an die Anklagebehörden weitergeleitet. Der Startschuss zur Kampagne wurde am 8. Juli 2002 in Litauen gegeben. Mit 198 Namen wurden dort bisher die meisten
Verdächtigen ermittelt; 46 Fälle aus dem baltischen Staat gingen an die Justiz. Es folgten Estland, Lettland, Polen, Rumänien,Ö sterreich, Kroatien und Ungarn. Als letztes Land kam im Januar 2005 Deutschland hinzu. «Wir wollten da beginnen, wo wir mit dem größten Erfolg rechneten», sagt Zuroff diese Woche am Telefon aus seinem Jerusalemer Büro. «Bei Deutschland waren wir uns da nicht sicher.»

Dabei liegen die Hindernisse heute weniger im Hauptherkunftsland der Täter als in den osteuropäischen Ländern. In Osteuropa fehle der politische Wille, kritisiert Zuroff. Die Staaten beschäftigten sich mehr mit ihrer Vergangenheit unter dem Kommunismus; die
Nazi-Zeit werde weitgehend ausgeblendet. In Deutschland gebe es zumindest Verständnis für das Anliegen der Nazi-Jäger, sagt Zuroff.« Aber die Behörden tun weniger als sie könnten.»

Seit dem Start der Kampagne in Deutschland gingen nach Schätzung des Historikers und Journalisten Stefan Klemp etwa 160 Anrufe bei der eigens eingerichteten Hotline ein. Hinzu kämen etwa 50 Hinweise per E-Mail, sagt der Forscher, der im Auftrag des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Österreich und Deutschland nach NS-Verbrechern fahndet. Mittlerweile schaltet sich unter der Berliner Telefonnummer jedoch nur der Anrufbeantworter ein: Das Büro ist seit Ende April unbesetzt. Zuletzt seien nur noch wenige Anrufe eingegangen, erläutert Klemp. Die Hotline werde jetzt abgeschaltet.

Wie Zuroff sieht auch Klemp in Deutschland noch große Mängel bei den strafrechtlichen Ermittlungen gegen die allmählich aussterbenden mutmaßlichen Nazi-Täter. «Die deutschen Behörden arbeiten sehr langsam», sagt er. Einige Gerichtsverfahren zögen sich bereits seit Jahrzehnten hin. Es gebe Beispiele, dass Ermittler «von oben abgebremst» worden seien. Allerdings gebe es auch sehr engagierte Staatsanwälte, etwa in Dortmund und München.

Im Rahmen der «Operation Letzte Chance» wurde in Deutschland bislang nur ein einziges Ermittlungsverfahren eingeleitet, weniger als zehn Fälle werden noch dahingehend geprüft. Unter den eingegangenen Hinweisen sei nur ein geringer Teil strafrechtlich relevant, sagt Klemp. Bei den Informanten handle es sich oft um Nachfahren der mutmaßlichen Täter, die Familienforschung betrieben und dabei auf Hinweise stießen. Manchmal seien es auch Nachbarn.

Auf die bis zu 10.000 Euro Belohnung für Hinweise, die zur Anklageerhebung oder Verurteilung führen, hat es laut Klemp aber keiner der Anrufer abgesehen. Das Geld für die «Operation Letzte Chance» stammt von der in Miami ansässigen Stiftung Targum Shlishi,
die das Projekt zusammen mit dem Simon-Wiesenthal-Zentrum ins Leben rief.

Nazi-Jäger Zuroff sieht seine Arbeit als «Teil eines umfassenden Kampfs gegen Antisemitismus». Außerdem sei das Ziel, «eine Botschaft an die Menschen zu richten, die solche Verbrechen in der Zukunft begehen könnten». Und drittens solle den Menschen in den betroffenen Ländern klargemacht werden, dass auch in ihrer Heimat Nazi-Verbrecher lebten. Es gehe um die «historische Wahrheit». Ob der Eichmann-Prozess Auslöser für seine heutige Tätigkeit war, kann Zuroff nicht sagen. Einen familiären Hintergrund habe sein
Interesse daran jedenfalls nicht: «Bereits meine Eltern wurden in den USA geboren», sagt Zuroff. «Ich glaube nicht, dass man das Kind eines Überlebenden sein muss, um sich für das Thema zu interessieren.»