In Ludwigsburg
ermittelt die Zentrale Stelle der Justizverwaltungen seit
1958 gegen NS-Verbrecher. Noch gibt es gut 80 Verdächtige
Ein Gefängnis ist nie ein angenehmer Arbeitsplatz -
nicht einmal ein ausgemustertes Zuchthaus wie das Frauengefängnis
an der Schorndorfer Straße im baden-württembergischen
Ludwigsburg. Zurückgesetzt von der Hauptstraße,
scheint sich der dreistöckige gelb-weiße Bau hinter
der abweisenden Mauer mit der kleinen Pforte zu ducken. Nicht
einmal das Dach mit angedeutetem Turm mildert seine trutzige
Unnahbarkeit.
Eingesperrt wird hier zwar schon seit mehr als einem halben
Jahrhundert niemand mehr. Dennoch steht die Freiheitsstrafe
im Mittelpunkt der Arbeit der knapp 20 Angestellten. Denn
an der Schorndorfer Straße hat die "Zentrale
Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung
nationalsozialistischer Verbrechen" ihren Sitz. Ludwigsburg
ist das Zentrum der "Vergangenheitsbewältigung" in
Deutschland - jedenfalls was die Nazi-Zeit angeht.
1,672 Millionen Karten umfasst die Kartei, die hier in den
vergangenen 50 Jahren zusammengetragen wurde. Nirgendwo sind
mehr Namen von mutmaßlichen Tätern oder potenziellen
Zeugen und mehr Tatorte des Holocaust und anderer Verbrechen
des Dritten Reiches verzeichnet als hier. Im Verlauf der
Zeit haben Hunderte Staatsanwälte mitgewirkt an der
größten nach Maßstäben des Rechtsstaates
betriebenen Aufarbeitung der Vergangenheit, manche davor
fast ihr ganzes Berufsleben lang.
Nach dem Titel eines Buches von Ralph Giordano gilt die
unbefriedigende juristische Ahndung der Nazi-Gräuel
als Deutschlands "zweite Schuld" - und doch hat
nie zuvor ein Staat auch nur annähernd so viel Energie
und Geld in die Bestrafung von Verbrechen gesteckt, die im
staatlichen Auftrag begangen wurden.
In den inzwischen 50 Jahren und sechs Monaten ihrer Existenz
hat die Zentrale Stelle 7401 Vorermittlungsverfahren eröffnet;
davon wurden 7377 an eine zuständige Staatsanwaltschaft
abgegeben. Gemessen an der Gesamtzahl von Ermittlungsverfahren
wegen NS-Verbrechen (etwa 106 000), klingt das wenig, doch
waren es oft die besonders komplexen Verfahren, die in Ludwigsburg
vorbereitet wurden.
Ohne die Zentrale Stelle wäre es nie zur Auslieferung
von John Demjanjuk gekommen. Ein andere bekannter Fall ist
das Urteil gegen den früheren KZ-Kommandanten Josef
Schwammberger, der 1992 in Stuttgart zu lebenslanger Haft
verurteilt wurde und Ende 2004 im Haftkrankenhaus starb.
Dagegen stellte das Landgericht Gera 2005 den Prozess gegen
die mutmaßliche Euthanasietäterin Rosemarie Albrecht
ein. Sie war in der DDR eine prominente Kinderärztin
gewesen und von der Stasi trotz einer Anfrage aus Ludwigsburg
gedeckt worden.
Das war nicht die einzige Niederlage der Staatsanwälte
im Frauengefängnis. Im Mai 1969 zum Beispiel stellte
der Bundesgerichtshof den großen Prozess gegen insgesamt
294 Schreibtischtäter der Berliner Gestapo ein - vorangegangen
war eine trickreiche Gesetzesänderung, mit der einige
Juristen im Bundesjustizministerium indirekt einen Schlussstrich
unter alle NS-Verbrechen außer Mord oder Beihilfe zum
Mord gezogen hatten.
Heute sind noch 24 Ermittlungsverfahren in Ludwigsburg anhängig,
und auf gut 60 weitere mutmaßliche Fälle hat der
Leiter der Zentra-len Stelle, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm,
ein besonderes Auge: "Es ist absehbar, dass unsere Arbeit
dem Ende zugeht, aber wir machen so lange weiter, wie die
Möglich-keit zur strafrechtlichen Aufklärung besteht."
Doch mit dem tatsächlichen und endgültigen biologischen
Ende der Strafprozesse gegen NS-Täter endet nicht die
Geschichte von Ludwigsburg als Zentrum der Aufarbeitung.
Schon seit neun Jahren übernimmt das Bundesarchiv Bestände
der Zentralen Stelle, wofür sie keinen Millimeter bewegt
werden müssen; da eigens dafür eine Außenstelle
eingerichtet worden ist. Und damit auch die Auswertung künftig
nicht zu kurz kommt, hat die Universität Stuttgart eine
Forschungsabteilung eingerichtet, die schon 13 Bände
mit aktuellen Forschungen herausgegeben hat.
welt.de
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