12.05.2009
spiegel.de
Demjanjuk in München gelandet
Von Sebastian Fischer, Conny Neumann und Cordula Meyer, München und Cleveland

Das Flugzeug mit der Kennung N250LB ist in München gelandet: Der mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist nach der Abschiebung aus den USA in Deutschland angekommen. Er soll nun in einem der letzten großen NS-Prozesse vor Gericht gestellt werden.

München - Es ist das Ende eines langen juristischen Tauziehens: Der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist in Deutschland eingetroffen. Der 89-Jährige kam am Dienstagvormittag am Münchner Flughafen aus den USA an.

Das zweimotorige Flugzeug rollte nach der Landung gegen 9.15 Uhr in eine Frachthalle der Lufthansa. Polizeiautos, Krankenwagen und Zivilautos fuhren anschließend ebenfalls in den Hangar, dessen Tore umgehend geschlossen wurden.

Demjanjuk sollte anschließend in das Untersuchungsgefängnis Stadelheim gebracht werden, wie Staatsanwaltschaft und Verteidiger mitteilten. Dort wird er ärztlich untersucht, und der Ermittlungsrichter eröffnet ihm den Haftbefehl.

Wolkenloser Himmel über Cleveland

Es war ein klarer, warmer Frühlingsabend, als der Gulfstream-Jet G4 mit der Kennung N250LB von der Landebahn des Privatflughafens Burke abhob. Um 19.13 Uhr startete das weiße Flugzeug in den wolkenlosen Himmel über Cleveland und drehte nach Nordenosten ab.

Von der Liege des Krankenflugzeugs konnte John Demjanjuk auf den mächtigen Erie-See blicken und auf die Hochhäuser von Cleveland - das Letzte, was er vermutlich jemals von Amerika sehen würde.

Demjanjuk bewegt sich auf fast genau jener Route, die er vor 57 Jahren schon einmal genommen hat - nur in umgekehrter Richtung. Damals, 1952, schien es in die Zukunft zu gehen: Demjanjuk reiste als sogenannte "displaced person" von München nach Bremerhaven. Er schiffte sich dort mit seiner Frau Vera an Bord der Gen. W. G. Haan nach New York ein. Die US-Behörden konnte er überzeugen, ein heimatlos gewordener, ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener zu sein - so bekam er die begehrten Einreisepapiere in die USA.

25 Jahre später holt die Vergangenheit ihn ein: 1977 beginnen die US-Behörden, gegen Demjanjuk zu ermitteln. Sie werfen ihm vor, ein williger Helfer der Nazis gewesen zu sein, ein Helfer beim Massenmord. Für diese Vergangenheit soll er zur Rechenschaft gezogen werden, fordert die Spezialeinheit OSI des US-Justizministeriums.

Nun, weitere drei Jahrzehnte später, als die Reifen des Jets in Cleveland von der Startbahn abheben, endet der Kampf des US-Justizministeriums mit dem gebürtigen Ukrainer. All die Jahre haben die Nazi-Jäger des OSI versucht, Demjanjuk außer Landes zu bringen, damit er dort für seine mutmaßlichen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden kann. Und genau so lange versuchte Demjanjuks Familie, seine Unschuld zu beweisen.

In Israel zum Tode verurteilt

Innerhalb dieser drei Jahrzehnte lieferten die USA Demjanjuk nach Israel aus, wo er als "Iwan der Schreckliche", Betreiber der Gaskammer im Vernichtungslager Treblinka, zum Tode verurteilt wurde. Er saß in der Todeszelle, bis herauskam, dass "Iwan der Schreckliche" in Wirklichkeit jemand anders war. Demjanjuk kam frei und in die USA zurück. Ein Gericht stellte hinterher fest, dass das US-Justizministerium entlastende Beweismittel unterschlagen hatte, die nahelegten, Demjanjuk sei nicht in Treblinka gewesen.

Nun ist es die Staatsanwaltschaft München, die Demjanjuk vor Gericht stellen will - wegen Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen. Er sei Wächter gewesen, nicht in Treblinka, aber im Todeslager in Sobibor im besetzten Polen.

Es gibt Beweise und Dokumente, bessere als beim Prozess in Israel. Allerdings ist bisher nicht geklärt, ob der 89-Jährige überhaupt verhandlungsfähig ist. Das müssen bayerische Amtsärzte jetzt erst prüfen. Selbst falls Demjanjuk zu krank für einen Prozess wäre, müsste er wohl in Deutschland bleiben. Denn die Abschiebung aus den USA ist endgültig. Einen Weg zurück gibt es nicht.

Erbittert gekämpft

Auch deshalb hatte die Familie so erbittert gekämpft, war von Gericht zu Gericht gezogen - bis sie am Ende nun zu akzeptieren schien, dass es keinen Ausweg, keine Revision, keine Eilverfügung mehr für Demjanjuk geben würde.

Schon morgens um zehn am Montag (Ortszeit) fuhren kurz nacheinander die zwei Geländewagen der beiden Töchter Demjanjuks vor dem schicken gelbgeklinkerten Bungalow der Familie vor. Die Enkel Olivia und Zachary hatten sich feingemacht für den Tag des Abschieds. Auch Demjanjuks Priester kam für eine Segnung.

"Warum bringt ihr John weg?", fragte der Junge die Journalisten."Das erkläre ich dir, wenn du größer bist", sagte der Vater. Er hatte früher oft Nachbarschaftsplausch mit Demjanjuk gehalten. In der vergangenen Woche war er drüben, um sich zu verabschieden. Demjanjuk habe mut- und kraftlos gewirkt. "Er hat nicht einmal versucht, sich im Bett aufzusetzen", sagt Keller. Er habe Demjanjuk dann versichert, dass er dessen Frau Vera mit dem Haus und dem Garten helfen werde. "Ich weiß, dass er sich um solche Sachen sorgt."

"Fuck you!" und ein Hitlergruß

Den ganzen Tag schlichen immer wieder Autos vor dem Haus der Demjanjuks vorbei, in einer Wohnstraße, die normalerweise so gut wie ausgestorben ist. Viele der Neugierigen und Nachbarn schüttelten missbilligend bis verächtlich den Kopf. In Richtung der Journalisten, nicht in Richtung Demjanjuks. Ein junger Mann in einem roten Pick-up hielte gut sichtbar den Stinkefinger aus dem Autofenster. Ein anderer brüllte aus vollem Hals "Fuck you!". Einer reckte sogar im Vorbeifahren den Arm zum Hitlergruß.

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