Die Abschiebung
des mutmaßlichen KZ-Wächters John Demjanjuk aus
den USA nach Deutschland scheiterte in letzter Minute. Jetzt
bekräftigt auch sein deutscher Anwalt, der 89-Jährige
sei zu krank, um ein Gerichtsverfahren zu überleben: "Entweder
Chemotherapie - oder Prozess."
München - Die Anwälte des mutmaßlichen NS-Kriegsverbrechers
John Demjanjuk haben die deutsche Justiz zum Verzicht auf
den geplanten Prozess in München aufgefordert.
Der 89-Jährige brauche wegen eines Nierentumors eine
Chemotherapie und sei schon deshalb nicht verhandlungsfähig,
sagte Verteidiger Ulrich Busch am Mittwoch: "Entweder
Chemotherapie - oder Prozess." Verteidiger Günther
Maull will den dringlichen Antrag stellen, Demjanjuk in den
USA von einem deutschen Amtsarzt untersuchen zu lassen. Wenn
er prozessunfähig sei, brauche er nicht nach Deutschland
gebracht zu werden.
Maull sagte, er habe Fernsehaufnahmen vom versuchten Abtransport
Demjanjuks in Cincinnati gesehen. Auf diesen Bildern habe
sein Mandant einen "sehr geschwächten und angeschlagenen
Eindruck" hinterlassen.
"Transportfähig ist auch eine tote Kuh"
Zwar hätten die US-Behörden die Transportfähigkeit
Demjanjuks bestätigt, doch das bedeute nicht viel. "Transportfähig
ist auch eine tote Kuh, viel wichtiger ist, ob der Mann verhandlungsfähig
ist", sagte Maull.
Der private Rücktransport Demjanjuks hatte sich allerdings
unspektakulärer gestaltet als zuvor die Abholung durch
sechs Beamte der Einwanderungsbehörde. Von denen hatte
sich der Greis im Rollstuhl tragen lassen - wieder zurück
zu Hause, schaffte er den selben Weg zu Fuß. Ein US-Berufungsgericht
hatte Demjanjuks Abschiebung am Dienstag vorläufig gestoppt.
Die Münchner Staatsanwaltschaft will dem in Ohio lebenden
gebürtigen Ukrainer wegen Beihilfe zum Mord an 29.000
Juden den Prozess machen. Er soll 1943 als KZ-Aufseher im
Vernichtungslager Sobibor die Menschen von den Zügen
in die Gaskammern getrieben haben.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft München, Anton
Winkler, sagte: "Man muss jetzt abwarten, wie in den
USA entschieden wird." Bis zu Demjanjuks Ankunft in
Deutschland seien die Angaben der US-Ärzte zu seinem
Gesundheitszustand maßgebend. Die US-Einwanderungsbehörde
hatte ihn in Begleitung eines Arztes und einer Krankenschwester
nach München bringen wollen.
Bei einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord droht Demjanjuk
eine Haftstrafe von 3 bis 15 Jahren in jedem einzelnen Fall.
Wegen einer Verwechslung mit einem als "Iwan der Schreckliche" berüchtigten
KZ-Aufseher in Treblinka hatte er in Israel bis 1993 sechs
Jahre lang in der Todeszelle gesessen. Einem Dienstausweis
und Zeugenaussagen zufolge soll Demjanjuk tatsächlich
in Sobibor gewesen sein. Er behauptet dagegen, er sei nur
Kriegsgefangener gewesen.
"Pause zum Nachdenken"
Verteidiger Busch sagte, er habe gerade mit Demjanjuks amerikanischem
Anwalt John Broadley telefoniert, als die Nachricht vom vorläufigen
Abschiebestopp kam. Die endgültige Entscheidung des
Gerichts stehe aber noch aus. Das könne sehr schnell
geschehen, aber "wir hoffen nicht auf eine schnelle,
sondern auf eine gründliche Entscheidung", sagte
Busch.
Alle Beteiligten "sollten jetzt eine Pause zum Nachdenken
nehmen, ob wir wirklich gegen einen Schwerkranken einen Prozess
führen, der zwei Jahre dauern kann und den er nicht überleben
kann". Wenn nach der Abschiebung in München seine
Verhandlungsunfähigkeit festgestellt werde, dürfe
er nicht mehr in die USA zurück und müsste in ein
deutsches Pflegeheim.
Die Bundesregierung rechnet im Fall Demjanjuk weiterhin
mit einer baldigen Abschiebung des Greises aus den USA. "Wir
gehen nach wie vor von einem zügigen Verfahrensabschluss
aus", sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Mittwoch
in Berlin.
Allerdings habe man keine Erkenntnisse über die nächsten
Schritte der US-Behörden, sagte er. Derzeit sei das
Verfahren noch ein "innerstaatlicher Vorgang" auf
Seiten der USA. Die Bundesregierung sei daran "in keiner
Weise beteiligt".
spiegel.de
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