15.04.2009
spiegel.de
Demjanjuks Anwälte fordern Verzicht auf Prozess

Die Abschiebung des mutmaßlichen KZ-Wächters John Demjanjuk aus den USA nach Deutschland scheiterte in letzter Minute. Jetzt bekräftigt auch sein deutscher Anwalt, der 89-Jährige sei zu krank, um ein Gerichtsverfahren zu überleben: "Entweder Chemotherapie - oder Prozess."

München - Die Anwälte des mutmaßlichen NS-Kriegsverbrechers John Demjanjuk haben die deutsche Justiz zum Verzicht auf den geplanten Prozess in München aufgefordert.

Der 89-Jährige brauche wegen eines Nierentumors eine Chemotherapie und sei schon deshalb nicht verhandlungsfähig, sagte Verteidiger Ulrich Busch am Mittwoch: "Entweder Chemotherapie - oder Prozess." Verteidiger Günther Maull will den dringlichen Antrag stellen, Demjanjuk in den USA von einem deutschen Amtsarzt untersuchen zu lassen. Wenn er prozessunfähig sei, brauche er nicht nach Deutschland gebracht zu werden.

Maull sagte, er habe Fernsehaufnahmen vom versuchten Abtransport Demjanjuks in Cincinnati gesehen. Auf diesen Bildern habe sein Mandant einen "sehr geschwächten und angeschlagenen Eindruck" hinterlassen.

"Transportfähig ist auch eine tote Kuh"

Zwar hätten die US-Behörden die Transportfähigkeit Demjanjuks bestätigt, doch das bedeute nicht viel. "Transportfähig ist auch eine tote Kuh, viel wichtiger ist, ob der Mann verhandlungsfähig ist", sagte Maull.

Der private Rücktransport Demjanjuks hatte sich allerdings unspektakulärer gestaltet als zuvor die Abholung durch sechs Beamte der Einwanderungsbehörde. Von denen hatte sich der Greis im Rollstuhl tragen lassen - wieder zurück zu Hause, schaffte er den selben Weg zu Fuß. Ein US-Berufungsgericht hatte Demjanjuks Abschiebung am Dienstag vorläufig gestoppt. Die Münchner Staatsanwaltschaft will dem in Ohio lebenden gebürtigen Ukrainer wegen Beihilfe zum Mord an 29.000 Juden den Prozess machen. Er soll 1943 als KZ-Aufseher im Vernichtungslager Sobibor die Menschen von den Zügen in die Gaskammern getrieben haben.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft München, Anton Winkler, sagte: "Man muss jetzt abwarten, wie in den USA entschieden wird." Bis zu Demjanjuks Ankunft in Deutschland seien die Angaben der US-Ärzte zu seinem Gesundheitszustand maßgebend. Die US-Einwanderungsbehörde hatte ihn in Begleitung eines Arztes und einer Krankenschwester nach München bringen wollen.

Bei einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord droht Demjanjuk eine Haftstrafe von 3 bis 15 Jahren in jedem einzelnen Fall.

Wegen einer Verwechslung mit einem als "Iwan der Schreckliche" berüchtigten KZ-Aufseher in Treblinka hatte er in Israel bis 1993 sechs Jahre lang in der Todeszelle gesessen. Einem Dienstausweis und Zeugenaussagen zufolge soll Demjanjuk tatsächlich in Sobibor gewesen sein. Er behauptet dagegen, er sei nur Kriegsgefangener gewesen.

"Pause zum Nachdenken"

Verteidiger Busch sagte, er habe gerade mit Demjanjuks amerikanischem Anwalt John Broadley telefoniert, als die Nachricht vom vorläufigen Abschiebestopp kam. Die endgültige Entscheidung des Gerichts stehe aber noch aus. Das könne sehr schnell geschehen, aber "wir hoffen nicht auf eine schnelle, sondern auf eine gründliche Entscheidung", sagte Busch.

Alle Beteiligten "sollten jetzt eine Pause zum Nachdenken nehmen, ob wir wirklich gegen einen Schwerkranken einen Prozess führen, der zwei Jahre dauern kann und den er nicht überleben kann". Wenn nach der Abschiebung in München seine Verhandlungsunfähigkeit festgestellt werde, dürfe er nicht mehr in die USA zurück und müsste in ein deutsches Pflegeheim.

Die Bundesregierung rechnet im Fall Demjanjuk weiterhin mit einer baldigen Abschiebung des Greises aus den USA. "Wir gehen nach wie vor von einem zügigen Verfahrensabschluss aus", sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Mittwoch in Berlin.

Allerdings habe man keine Erkenntnisse über die nächsten Schritte der US-Behörden, sagte er. Derzeit sei das Verfahren noch ein "innerstaatlicher Vorgang" auf Seiten der USA. Die Bundesregierung sei daran "in keiner Weise beteiligt".

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