Iwan Demjanjuk,
mutmaßlicher NS-Massenmörder, kann aus den USA
ausgeliefert werden. Inzwischen sind NS-Fahnder einem weiteren
Verdächtigen auf der Spur.
Ludwigsburg – Aribert Heim und Iwan John Demjanjuk – diese
Namen sind verbunden mit Kriminalfällen der besonderen
Art. Bei beiden handelt es sich um mutmaßliche Nazi-Verbrecher,
um Massenmörder. Womöglich wird im Zusammenhang
mit den Gräueln des Dritten Reichs bald ein weiterer
Name genannt. Die deutsche Zentralstelle für Fahndung
nach Nazi-Verbrechern in Ludwigsburg ist in den USA einem
bisher unbekannten Verdächtigen auf der Spur.
Heim, der Arzt unter anderem im Konzentrationslager Mauthausen
bestialisch gewütet haben soll, ist angeblich schon
seit längerer Zeit tot. Völlig zweifelsfrei ist
diese Nachricht nicht. Erst wenn er einen DNA-Beweis in der
Hand habe, werde er hundertprozentig überzeugt vom Ableben
des 1914 geborenen Heim sein. „Oder in 50 Jahren“,
sagt Kurt Schrimm, der Oberstaatsanwalt, der die Zentralstelle
leitet.
Mehr Glück haben die Fahnder mit dem gebürtigen
Ukrainer Demjanjuk. Die Auslieferung des heute 88-Jährigen
aus den USA rückt in greifbare Nähe. Das bayerische
Landeskriminalamt (LKA), das den Dienstausweis des mutmaßlichen
Massenmörders begutachtete, komme zu dem Schluss, das
Dokument sei echt, erklärte der Münchner Oberstaatsanwalt
Anton Winkler. Damit steht der Abschiebung nichts mehr im
Weg. Dieser Dienstausweis ist ein Schlüsseldokument.
Es bewahrte den einstigen Wachmann in den Vernichtungslagern
Treblinka, Majdanek und Sobibor (Polen) vor der Todesstrafe.
Diese wurde 1988 in Israel verhängt, weil „Iwan
der Schreckliche“ an der Ermordung von mehr als 100
000 Juden beteiligt gewesen sein und gefoltert haben soll.
Fünf Jahre später wurde das Urteil wieder aufgehoben,
weil der Dienstausweis dem Delinquenten nicht zweifelsfrei
zugeordnet werden konnte. Demjanjuk kehrte in seine Wahlheimat
USA zurück und lebt in Ohio.
Die Ludwigsburger Fahnder ließen nicht locker und
sich nicht irritieren von Erklärungen wie der des Anwalts
Demjanjuks. Dieser verbreitete die Version, der Dienstausweis
sei eine Fälschung des sowjetischen Geheimdiensts KGB.
Ein angeblicher Cousin des Verdächtigen wurde vergeblich
ins Spiel gebracht. Auch der amerikanische Sonderermittler
Eli Rosenbaum vom Office of Special Investigations (OSI)
des US-Justizministeriums lässt sich von solchen Gerüchten
nicht ins Bockshorn jagen. Der Ausweis sei „mit Sicherheit
echt“. Das Papier sei „vielleicht das am meisten überprüfte
Dokument in der Geschichte der Strafverfolgung“, sagte
Rosenbaum in einem Interview Ende 2008.
Und weiter: „Wir sind mit Sicherheit bereit, ihn (Demjanjuk)
schnellstmöglich loszuwerden“. Da dem Verdächtigen
nach seiner Rückkehr aus Israel die US-Staatsbürgerschaft
aberkannt wurde und er sämtliche Prozesse gegen eine
mögliche Abschiebung verloren hat, könnte er nach
Rosenbaums Ansicht auf ein entsprechendes Ersuchen aus Deutschland
hin in „24 bis 48 Stunden“ in einem Flugzeug
sitzen.
In ein solches steigt Anfang März mit Sicherheit Oberstaatsanwalt
Schrimm. Das OSI hält Unterlagen für ihn bereit,
mit welchen es offenbar einem Verdächtigen nachweisen
kann, für das NS-Regimes gemordet zu haben. Der Fall
ist kompliziert. Weil es sich um einen Mann handelt, der
die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzt und seine
Verbrechen im Ausland begangen hat, ist keine deutsche Staatsanwaltschaft
für ihn zuständig. Folglich kann keine Anklage
erhoben werden. Doch Kurt Schrimm ist zuversichtlich, dass
der Bundesgerichtshof eine Möglichkeit findet, um den
mutmaßlichen Mörder doch vor Gericht zu zitieren.
Vor drei Jahren hatte er schon einmal einen solchen Fall:
Einem ebenfalls in den USA lebenden, aus Osteuropa stammenden
Verdächtigen wurden NS-Verbrechen nachgewiesen. Auch
ihm wurde deswegen in seiner Wahlheimat die Staatsbürgerschaft
aberkannt. Eine Auslieferung wäre nach einem entsprechenden
Antrag kein Problem gewesen. Doch bevor der BGH tätig
werden konnte, starb der Mann.
Bei Iwan John Demjanjuk ist es einfacher. Als sicher gilt,
dass er ein „Trawniki“ war. Nach dem gleichnamigen
Ort in der Nähe von Lublin (Polen) wurden osteuropäische
Handlanger der SS genannt, die dort teilweise freiwillig,
teilweise gezwungen für den Dienst in den Lagern gedrillt
wurden. Eine Anklage in Deutschland ist möglich, weil
unter 29 000 in Sobibor ermordeten Juden 1900 deutsche waren.
Der Bundesgerichtshof benannte München als Gerichtsort,
weil Demjanjuks letzter Aufenthaltsort in Deutschland nicht
mehr zuverlässig ermittelt werden kann.
In München bereite man sich darauf vor, „sofort
loszulegen“, sobald die LKA-Expertise schriftlich vorliege,
erklärt Oberstaatsanwalt Winkler. Auch das US-Spezialdezernat
OSI ist parat. Eli Rosenbaum: Die deutschen Fahnder, die
er sehr schätze, „wissen, dass wir bereitstehen,
24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.“
suedkurier.de
|