7. Januar 2009 - 21.32 Uhr 123recht.net
  Verfahren gegen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher in Aachen geplatzt
87-Jähriger laut Gutachten dauerhaft verhandlungsunfähig
 
 

Das vor dem Aachener Landgericht geplante Verfahren gegen einen heute 87-jährigen mutmaßlichen SS-Mörder ist geplatzt. Die Schwurgerichtskammer lehnte am Mittwoch die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Rentner Heinrich B. wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des Mannes ab. Das Simon Wiesenthal Center erklärte, die Entscheidung dokumentiere das Scheitern der deutschen Justiz bei der Strafverfolgung von NS-Verbrechern.

Einem Gutachten zufolge sei der Mann aus Eschweiler bei Aachen wegen vielfältiger Gesundheitsprobleme nicht in der Lage, einer Hauptverhandlung als Angeklagter beizuwohnen, erklärte das Gericht. Gegen den Beschluss der Aachener Richter können die Verfahrensbeteiligten Rechtsmittel einlegen.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund hatte B. im vergangenen Frühjahr wegen Mordes angeklagt. Dem gebürtigen Niederländer werden Morde an drei Männern 1944 in den Niederlanden zur Last gelegt. Die Opfer werden zum Umfeld des niederländischen Widerstands gegen die Nazis gerechnet. Die NS-Morde sollen demnach bei einer Aktion unter dem Tarnnamen "Silbertanne" verübt worden sein, der in dem Nachbarland insgesamt 54 Niederländer zum Opfer fielen.

B. soll 1940 der deutschen Waffen-SS beigetreten sein und mit weiteren Mittätern die drei Männer im Juli und September 1944 in Breda, Voorschoten und Wassenaar erschossen haben. Später gelang ihm die Flucht nach Deutschland, wo er bis heute unbestraft lebt. Ein Sondergericht in Amsterdam hatte B. 1949 in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Diese Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt, die niederländische Staatsangehörigkeit wurde B. in der Folgezeit entzogen.

Im Juli 2007 hatte das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden, dass die Strafe an dem ehemaligen Bergmann nicht vollstreckt werden könne. Nach dem Willen der Dortmunder Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Nordrhein-Westfalen sollte der Fall nun vor dem deutschen Gericht neu verhandelt werden. Bei ihrer Anklage berief sich die Staatsanwaltschaft seinerzeit auf ein EU-Übereinkommen. Demnach könne B. der Prozess gemacht werden, weil die in den Niederlanden verhängte Strafe gegen ihn nicht vollständig vollstreckt worden sei.

Der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem und Leiter der Kampagne "Operation Letzte Chance", Efraim Zuroff, nannte den Fall B. ein "typisches Beispiel für die Versäumnisse der deutschen Justiz bei der Strafverfolgung von NS-Tätern". Über Jahre habe die Niederlande vergeblich verlangt, B. auszuliefern, gegen ihn in Deutschland eine Strafe zu vollstrecken oder ihn dort vor Gericht zu stellen. Wäre seinem Fall mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden, "wäre er ins Gefängnis gewandert, lange bevor er der Gerechtigkeit aus gesundheitlichen Gründen entkommen konnte".

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