Duisburg, 05.12.2008

derwesten.de
  Ermittlungen wegen Mordes gegen 89-jährigen Duisburger
Klaus Johann
 
 

Duisburg. Beschaulich ist das Leben hier am Rande abseits der Hochofenkulisse im Duisburger Stadtteil Beeckerwerth. In einem der Häuser wohnt Adolf S. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in den letzten Kriegstagen an Massenerschießungen von Juden in Österreich aktiv beteiligt gewesen zu sein.

Beschaulich ist das Leben hier am Rande abseits der Hochofenkulisse im Duisburger Stadtteil Beeckerwerth. Ein gutes Dutzend Einfamilienhäuser ducken sich im Regen an die schmale Straße. Gartenzäune und Hecken schirmen sie vor neugierigen Blicken ab. Vor dem Haus von Adolf S. warnt ein Schild vor einem bissigen Hund: „Ich brauche fünf Sekunden bis zum Tor.”

Was viele Nachbarn lange vermuteten, aber nie richtig bekannt wurde, ist jetzt gewiss. Der 89-jährige Wohnungsinhaber war nicht nur Mitglied der Waffen-SS. Er soll auch Täter gewesen sein. Kurz vor Ende des Krieges sind in dem österreichischen Dorf Deutsch Schützen bis zu 80 ungarische Juden erschossen worden. Und der Duisburger soll neben weiteren SS-Leuten zu den Schützen gehört haben. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes.

"Ein ganz normaler Nachbar"
„ Ich kenne die Problematik natürlich”, sagt ein Anwohner, der nicht genannt werden möchte. „Das war ein ganz normaler Nachbar. Er soll an Massenerschießungen teilgenommen haben. Ob's stimmt, weiß ich nicht, das kann ich nicht beurteilen. Ich bin kein Richter, das müssen andere machen. Ich wusste von seinem Sohn, dass er in der Waffen-SS war. Da ist keiner unschuldig von.”

Vielen Nachbarn war der 89-Jährige durch seine kurzen Spaziergänge, auf einen Rollator gestützt, bekannt. Eine Pflegerin war stets bei ihm. Nur einmal tauchte sein Name in der Öffentlichkeit auf. Vor einem Jahr hatte er sich eingereiht in die Zahl der Jubilare: 60 Jahre gehörte er der Gewerkschaft der Eisenbahner, der heutigen Transnet, an.

Fairen Prozess garantieren
Ob sich der 89-Jährige jemals vor Gericht verantworten muss, ist fraglich. Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß bekräftigt, dass völlig unabhängig von der Schwere der Tat immer ein fairer Prozess möglich sein muss. Das heißt: Der Angeklagte muss in der Lage sein, den Prozess verfolgen zu können.” Er vermutet, dass Anträge der Verteidigung auf Verhandlungsunfähigkeit gestellt werden.

Dass es überhaupt zu den Ermittlungen kommen konnte, ist ein Verdienst des Wiener Studenten Andreas Forster. Während seines Forschungspraktikums befasste er sich mit dem Massaker in dem österreichischen Ort im Burgenland. Dabei tauchte zum ersten Mal der Name des Duisburgers auf. Über das Bundesarchiv in Berlin erhielt er Dokumente über die Massenvernichtung. Gemeinsam mit seinem Politikprofessor an der Wiener Uni, Walter Manoschek, informierte er die Staatsanwaltschaft.

Zehn-Stunden-Interviews
Doch der Wissenschaftler, der sich in seinem Forschungsprojekt mit NS-Verbrechen beschäftigt, ließ es nicht allein bei der Anzeige. Manoschek: „Ich besuchte den Mann mehrere Male in Duisburg, habe über zehn Stunden Interviews mit ihm geführt. Er gab zu, in Deutsch Schützen gewesen zu sein, erinnert sich aber nicht an das Massaker.”

Ein früherer Hitlerjunge hatte ausgesagt, dass der 89-Jährige einen der Zwangsarbeiter erschossen hatte. Der war nicht mehr imstande, zu laufen. Die Tat habe der 89-Jährige bestritten.

Körperlich nicht fit genug?
Professor Manoschek vertraut den deutschen Strafverfolgungsbehörden. Es gebe viele Ermittlungsverfahren, aber leider häufig keine Anklagen. Das könnte jetzt wieder passieren, auch wenn der Wissenschaftler bei dem 89-Jährigen intellektuell keine Gründe erkennen kann, den Prozess platzen zu lassen.

Aber körperlich sei der Duisburger nicht mehr so fit. Die Indizienkette ist aus Sicht des Wissenschaftlers eindeutig. Zwei Tatzeugen, der eine wohnt in Österreich, der andere in Kanada, hätten die Vorwürfe gegen den 89-Jährigen erhärtet: während eines geplanten Zwei-Tage-Marsches hätten sie gesehen, wie Adolf S. einen Juden erschossen habe.

Hausverbot für die Wohnung
Professor Manoschek hat mittlerweile Hausverbot für die Duisburger Wohnung des mutmaßlichen Täters erhalten. Bestimmte Filmaufnahmen darf er auch nicht zeigen. Der Politikwissenschaftler will nach Abschluss des Projekts einen Dokumentarfilm über das Verbrechen und die Täter zeigen.

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