12. Dezember 2008

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  SS-Mann im Telefonbuch
VON VOLKER SCHMIDT
 
 

Ein Blick ins Telefonbuch reichte einem österreichischen Studenten, um einen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher ausfindig zu machen. Die Zentralstelle für NS-Verbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund bestätigte am Donnerstag, dass sie Ermittlungen gegen einen 89-jährigen Duisburger eingeleitet hat. Er steht im Verdacht, 1945 in Österreich an einem Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern beteiligt gewesen zu sein. Derzeit befragt ein Staatsanwalt am Tatort, dem Dorf Deutsch Schützen im Burgenland, drei frühere Hitlerjungen als Zeugen. Es gebe eine "erdrückende Beweislast" gegen den Mann, der "mit hoher Wahrscheinlichkeit" einer der Täter sei, sagte der Dortmunder Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß der Nachrichtenagentur ddp.

Im Südburgenland waren gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Hunderte meist ungarischer Juden als Zwangsarbeiter beim Bau des Südostwalls gegen die Rote Armee eingesetzt worden. Im März 1945 wurden viele von ihnen umgebracht. Am Morgen des Gründonnerstags, dem 29. März 1945, ließ ein HJ-Bannführer in Deutsch Schützen 120 Zwangsarbeiter zu einer Kirche bringen, wo sie von Hitlerjungen bewacht wurden. Wenig später erschoss eine Volkssturm-Einheit aus drei Angehörigen der SS-Division Wiking und fünf Feldgendarmen rund 60 Zwangsarbeiter. Hitlerjungen verscharrten die Leichen in einem Massengrab, das eine Suchgruppe der Jüdischen Gemeinde in Wien erst 1995 fand. Die Überreste wurden umgebettet; die genaue Zahl der Opfer blieb unklar. Einige der Hitlerjungen wurden 1946 verurteilt.

Der Wiener Politikstudent Andreas Forster las bei Forschungen zu den Vorfällen unter anderem die Prozessakten eines Verfahrens gegen den HJ-Führer, der 1956 mangels Beweisen freigesprochen worden war. Er hatte die Schuld an der Erschießung den drei SS-Männern gegeben; der Name eines der Männer stand in den Akten. Der 28-jährige Forster fand den Mann im Telefonbuch. Sein Lehrer, Professor Walter Manoschek, reiste ins Ruhrgebiet und sprach mit dem Verdächtigen. Dieser erinnere sich an viele Details aus der Zeit, sagte Forster Spiegel Online - aber angeblich nicht an den Gründonnerstag 1945.

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