12. Dezember 2008

fr-online.de
  SS-Wachmann soll in München vor Gericht
VON URSULA KNAPP
 
 

Karlsruhe. Ein Prozess gegen den ehemaligen KZ-Wärter Iwan Demjanjuk wird wahrscheinlicher. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Landgericht München II das Verfahren gegen den mutmaßlichen KZ-Mörder übertragen. Das wurde am Donnerstag in Karlsruhe mitgeteilt. Dem heute 88-Jährigen, der in den USA lebt, wird Beihilfe zum Mord in 29 000 Fällen vorgeworfen.

Die Vorermittlungen hatte die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg geleistet. Deren umfangreichen Recherchen zufolge war Demjanjuk von März bis September 1943 SS-Wachmann im Vernichtungslager Sobibor in Polen. In dieser Zeit seien dort mindestens 29 000 europäische Juden ermordet worden.

1951 tauchte Demjanjuk mehrere Monate in einem Flüchtlingslager bei München unter. Die Zentralstelle hielt diesen Aufenthalt für Demjanjuks letzten deutschen Wohnsitz und leitete die Akten an die Münchener Staatsanwaltschaft weiter. Der Generalstaatsanwalt hielt jedoch die Zuständigkeit nicht für eindeutig, weil Demjanjuk vor seiner Auswanderung in die USA unter anderem noch in Bremen war, und gab die Akten zurück. Die Zentralstelle rief den BGH an, dessen Zweiter Strafsenat sich nun der Auffassung der Ludwigsburger anschloss. Mit dem Gerichtsstandort München ist die dortige Staatsanwaltschaft für weitere Ermittlungen und die Anklageerhebung zuständig und müsste bei den USA die Auslieferung Demjanjuks beantragen.

Demjanjuk wanderte 1952 in die USA aus, wo er als John Demjanjuk die US-Staatsbürgerschaft erhielt. Als seine Mitwirkung am Holocaust bekannt wurde, lieferten ihn die USA nach Israel aus, wo er 1988 wegen Morden im Lager Treblinka zum Tode verurteilt wurde. Der Oberste Gerichtshof Israels hob das Urteil 1993 auf, weil es Zweifel daran gab, dass Iwan Demjanjuk tatsächlich mit dem gefürchteten "Iwan der Schreckliche" in Treblinka identisch war. Er kehrte in die USA zurück.

Mehrere US-Gerichtsinstanzen hielten seither aber den Einsatz Demjanjuks in Sobibor für bewiesen und entzogen ihm die Staatsbürgerschaft. Die US-Justiz teilte der Bundesregierung mit, dass sie den mutmaßlichen Kriegsverbrecher abschieben will; die Ukraine wolle ihn nicht aufnehmen.

Der nunmehr Staatenlose bestreitet alle Vorwürfe. Seine Angehörigen in Seven Hills bei Cleveland (Ohio) haben bereits wissen lassen, der 88-Jährige leide unter schweren Durchblutungsstörungen und sei nicht reisefähig.

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